Editorial

Hedy Graber,
Dominik Landwehr und
Philippe Schnyder von Wartensee
Bestandesaufnahme zur Popmusik in der Schweiz

Popmusik ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Sie tönt aus dem Kinderzimmer, dröhnt vom Pausenplatz und hat die Altersheime erreicht. Sie füllt Stadien, Lifte, Autos, Kopfhörer, Clubs, Wohnzimmer, Shops, Übungsräume. Wir hören Englisch, Mundart oder Bum-Tz-Bum-Tz. Wenn sie nicht schon da ist, tragen wir sie mit dem Smartphone hin. Erstaunlicherweise lieben wir sie immer noch.

Wir bewundern Beyoncé auf Youtube, hören Bob Dylan auf Vinyl und kaufen Tickets fürs Montreux Jazz Festival. Derweil heisst der Deutschschweizer Star der Gegenwart Bligg. Er ist zum Musikprofi geworden in einer Zeit, die inhaltlich wenig, aber technisch viel Neues gebracht hat. Die digitale Revolution hat in Form von MP3, illegalen Tauschbörsen wie Napster und Streamingdiensten die Popmusik als erste Kultursparte durchgeschüttelt und entmaterialisiert. So ist die Innovation der Musik treu geblieben, auch wenn keine neuen Akkorde und identitätsstiftenden Frisuren erfunden worden sind. Den Ton gibt heute nicht mehr das kritische Musikgenie, sondern das verknüpfende Internet an. Und das Netz ist noch nicht fertig gewoben.

Vor zwanzig Jahren haben wir beim Migros-Kulturprozent begonnen, das Popmusikfestival m4music auszuhecken. Es sollte ähnlich dem Internet ein Treffpunkt sein, der Grenzen überwindet, Wissen verbreitet, zum Networking einlädt und Bands eine Plattform bietet. Wir haben bei ausländischen Festivals spioniert, Brücken in die Romandie geschlagen und 1998 das erste «M for Music» in Zürich auf die Beine gestellt. Inzwischen ist m4music zum Zentrum unserer Förderaktivitäten im Bereich Pop geworden. Wichtigstes Ziel damals wie heute: die fortschreitende Professionalisierung der Schweizer Popmusikszene mit Projekten und Finanzierungsbeiträgen zu unterstützen. Einige Themen haben uns immer besonders interessiert: der Wandel, den die Musik durch das Internet erfährt, die Förderung von Strukturen bei den Indielabels oder der Zugang zu neuem Publikum dank Videoclips und dem Vermittler Swiss Music Export. Dieses Interesse spiegelt sich auch in der vorliegenden Publikation «Time Is Now», die wir nicht nur als handfestes Buch veröffentlicht haben, sondern auch als frei zugängliche Website.

Obwohl Popmusik auch in der Schweiz im Leben so vieler Menschen eine wichtige Rolle spielt, existieren zum Thema erstaunlich wenig Publikationen mit hiesigem Absender. Das hat uns motiviert, einige der führenden Popmusikjournalistinnen und -journalisten anzufragen, ausgewählte Themen zu beleuchten und dabei folgende Fragen im Hinterkopf zu behalten: Wie ist der Zustand der Schweizer Popmusikszene? Was zeichnet sie aus? Wo liegen Potenziale und Chancen? Was braucht es, damit sich diese entwickeln können und besser wahrgenommen werden?

Die Leserin oder der Leser vermisst vielleicht den einen oder anderen grossen Namen. Das hat drei Gründe. Erstens: Diese Publikation fokussiert auf die Gegenwart – Darstellungen zur Geschichte der Schweizer Popmusik existieren ja bereits einige. Zweitens: Der Förderschwerpunkt des Migros-Kulturprozent liegt auf einheimischer Musik, neuen Talenten und unabhängigen Strukturen – und damit also auf Künstlern ausserhalb des breiten Mainstreams. «Time Is Now» ist kein Verzeichnis von Schweizer Popbands, sondern eine reflexive Momentaufnahme, wobei auch Musikerinnen und Musiker so oft wie möglich selber zu Wort kommen, so in den beiden längeren Interviews mit Fabian Chiquet, Jimi James und Brandy Butler. Joy Frempong, Marcel Blatti und Tobias Jundt leben in Berlin und im Gespräch erzählen sie, was es für Vorteile hat, ausserhalb der Schweiz zu leben. Und wie erging es der Nachwuchshoffnung Faber auf seiner Tour durch Deutschland? Carole Gröflin hat den Sänger begleitet. Adrian Schräder schliesslich leuchtet in eine weitgehend unbekannte Nische des Schweizer Pops und zeigt, welche Rolle Rap bei Künstlern mit Migrationshintergrund spielt. Pop wird hier zu einem Medium der Identitätsstiftung. Dass diese Szene noch nicht auf dem Radar der Integrationsförderung aufgetaucht ist, macht sie erst recht authentisch.

Doch wie wurde Pop überhaupt allgegenwärtig in der Schweiz? Christoph Fellmann beschreibt diese Transformation der Popmusik von der Subkultur zur Volkskultur. Der Preis: Eine gewisse Gleichförmigkeit. Medien haben in der Geschichte der Musik immer eine entscheidende Rolle für die Verbreitung gespielt, angefangen von der Erfindung der Schallplatte über die ­­­­­­­­45er-Single und die CD bis zum Siegeszug des Internets. Drei Medienthemen werden in diesem Buch vertieft: Ane Hebeisen spricht die veränderte Rolle des Radios an, das auch heute noch eine wichtige Rolle für die Promotion von Pop spielt. Martina Kammermann beschreibt den Siegeszug der digitalen Musik, die angesichts der kleinen Einnahmemöglichkeiten heute vor allem die Konsumenten und Plattformbetreiber glücklich macht. Mehr denn je ist der Videoclip ein zentrales Marketinginstrument. Lena Rittmeyer zeigt in ihrem Beitrag, wie souverän Bands dies heute pflegen. Die Bedeutung von professionellen Videoclips ist auch ein Beispiel, das zeigt, wie stark die Popmusik heute Teil eines kreativen Netzwerkes ist. Zu diesem zählen neben Grafikern und Webdesigner auch die Veranstalter und Vermittler, beispielsweise Clubverantwortliche und Festivalorganisatoren. Sie kommen im Text von Renzo Wellinger zu Wort.

In kaum einer Kultursparte ist der Graben zwischen der deutschen und der französischen Schweiz kleiner als in der Popmusik – auch wenn die Dynamik zur Zeit vor allem in eine Richtung geht: Christophe Schenk zeigt, wie Popmusiker aus der Romandie ihren Blick nach Aussen richten müssen; Auftritte in der deutschen Schweiz stehen ganz oben auf der Prioritätenliste. Eine Aussenperspektive ganz anderer Art nimmt der Auslandschweizer Hanspeter Künzler ein, der seit den Siebzigerjahren als Musikjournalist in England lebt: London ist trotz der Attraktivität Berlins weiterhin das Traumziel vieler Schweizer Popmusiker. Dabei dürfte sich die eine oder andere Band aber überschätzen, denn wer jenseits des Kanals bekannt werden will, muss zu härtester Knochenarbeit bereit sein.

«Time Is Now» ist auch keine Enzyklopädie des Schweizer Pop. Die Texte im Anhang sollen das Buch dennoch zu einem kleinen Nachschlagewerk machen mit einem Glossar, das die wichtigsten Begriffe erklärt, den wichtigsten Zahlen und Fakten zum Schweizer Popmarkt, einem Literaturverzeichnis sowie kurzen Abriss des Musikfestivals m4music, dessen Geschichte zusammenfällt mit der Professionalisierung der Schweizer Popszene und ihrer Transformation durch die Digitalisierung.

Die Autorinnen und Autoren von «Time Is Now» sind alle Kenner der Schweizer Popszene. Ihre Beschreibungen und Analysen fallen meist kritisch, sicher erfrischend aus. Kritik, mitunter auch heftig vorgetragen, hat die Popmusik bis heute begleitet. Kaum ein Argument, das nicht gegen sie vorgebracht wurde. Waren es zunächst ästhetische Argumente, so wurden es später ökonomische: Hat eine Band Erfolg, so ist der Vorwurf, «kommerziell» zu sein, nicht weit. Kontroversen zeugen aber von Leben, und sie sind allemal besser als Gleichgültigkeit. Ja, wir wünschen uns manchmal gar, dass ein solch kritischer Geist die gesamte Kulturberichterstattung durchfliessen würde.

Das Migros-Kulturprozent fördert Popkultur seit Langem als wichtige Kultur- und Lebensform in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen. Mit dieser Publikation dokumentieren wir Haltungen, die in der heutigen Zeit massgebend und relevant sind. Als privater Kulturförderer sehen wir uns durchaus in einer Vorreiterrolle, wenn es darum geht, Themen, die das gesellschaftliche Miteinander betreffen, zu fördern und – wie die vorliegende Publikation zeigt – zu dokumentieren.

An wen richtet sich «Time Is Now»? Ganz einfach, an alle Musikinteressierten. An jene, die täglich Popmusik hören ebenso wie jene, die das nicht tun. «Time Is Now» will auch mehr sein als ein Buch zur Schweizer Popmusik: Es ist eine Momentaufnahme einer Szene, die in der heutigen Gesellschaft eine tragende Rolle spielt: vielfältig und kontrovers, leidenschaftlich und poetisch, grenzüberschreitend und vital, utopisch und zukunftsweisend. Kurz, let the Music play!

Zürich im Sommer 2016

Die neue Folklore

Ausflug
in die
Basisgitarren-
demokratie

Von Christoph Fellmann

Sechzig Jahre nach seiner Entstehung in den USA ist Pop auch bei uns zur Musik geworden, die unseren Alltag begleitet und in der wir unser Leben wiedererkennen. Die Bandprobe ist gesellschaftlich nicht weniger akzeptiert als der Jassabend. So verwandelt sich Pop – abseits der glitzernden Kulissen des Starsystems – zurück in eine folkloristische Kultur, in ein riesiges, unerforschliches Hinterland.

Eine beliebige Bushaltestelle im Schweizer Mittelland zu einem beliebigen Zeitpunkt. An der Seitenwand hängen Plakate, die für Veranstaltungen werben. Für eine klassische Soiree, ein Kindertheater, ein Musical, drei Popkonzerte und vier Partys, auf denen DJs ebenfalls Popmusik auflegen. Vor den Plakaten warten acht Personen auf den Bus, und sechs davon hören Musik. Gefragt, was das ist, was sie hören, antworten alle sechs mit Namen von Popmusikern. Es ist offensichtlich: Pop ist, sechzig Jahre nach seiner Entstehung in den USA, auch bei uns zur Musik geworden, die unseren Alltag begleitet und in der wir unser Leben wiedererkennen. Pop ist unsere Volksmusik, und ebenfalls so gut wie an den Bushaltestellen des Mittellandes erkennt man das am Programm der kommerziellen Radiosender, die eben nicht Ländler spielen oder volkstümlichen Schlager, sondern internationalen Pop.


Es heisst, die Nachfrage bestimme das Angebot, aber da wird die Sache kompliziert. Klar, das Publikum hat heute mehr Musik zur Verfügung denn je, und es war auch noch nie so einfach, ein Lied zu produzieren und zu veröffentlichen. Bei Soundcloud etwa, einem Streamingdienst mit Sitz in Berlin, gibt es über hundert Millionen Titel gratis, und jede Minute wird nach Angaben des Dienstes von den vierzig Millionen registrierten Usern zwölf Stunden neue Musik hochgeladen.

Von dreizehn Millionen online angebotenen Songs wurden zehn Millionen kein einziges Mal verkauft.

Doch all diese Musik wird von kaum jemandem gehört. Eine Studie über den Onlinehandel mit Musik im Jahr 2008 unterstreicht den Befund: Damals standen rund dreizehn Millionen Songs im Internet zum Verkauf. Zehn Millionen wurden kein einziges Mal verkauft, und 0,4 Prozent der Songs sorgten für über achtzig Prozent der Einnahmen. «Das Internet hat nichts daran geändert, dass die meisten Leute das hören wollen, was alle anderen auch hören», schreibt John Seabrook in «The Song Machine», seiner Recherche über die Massenproduktion von Hits in der Musikindustrie: «Die Hits sind grösser denn je.»

So mag es eine erfreuliche Nachricht sein, dass die Musikbranche zuletzt ihren fünfzehnjährigen Niedergang stoppen konnte – dank des Streamings, aber auch dank eines enormen Booms im Konzertgeschäft. Weniger erfreulich ist, dass davon, in den virtuellen Musikshops wie auch auf der Bühne, letztlich nur ein kleiner, exklusiver Kreis von Künstlern profitiert. Und dahinter verwandelt sich Pop zurück in eine folkloristische Kultur, in ein riesiges, unerforschliches Hinterland. Weitab der glitzernden Kulissen des Starsystems dienen die Lieder hier dem Alltagsgebrauch ganz gewöhnlicher Menschen. Hier spielen die Sänger, DJs und Bands eine meist gewöhnliche, vertraute Musik; eine Musik, die ihnen mehr ein sozialer Zeitvertreib ist als eine künstlerische Ambition. Verdienen werden sie damit nie viel mehr, als ein rühriges Profil auf Bandcamp, ein schmales Konto bei der Urheberrechtsgesellschaft und die Hutkollekte hergeben. Diese Musiker führen ein Künstlerleben mehr oder weniger innerhalb der eigenen Community – zwischen den immer gleichen Clubs, Kaffeehaus- und Wohnzimmerkonzerten sowie, wenn es hochkommt, der Main Stage am lokalen Open Air.

Das klingt und ist nicht glamourös. Wie viele Leute aber an diesem Leben trotzdem teilhaben wollen, zeigt sich auch in der Schweiz immer wieder. Für die «Demotape Clinic» etwa, einen Nachwuchswettbewerb des Migros-Kulturprozents, bewerben sich jedes Jahr rund siebenhundert Bands. Und im Rockförderverein Basel sind über fünfhundert Acts aus der Stadt und Region angeschlossen. Der Verein ist einzigartig in der Schweiz, aber in anderen grossen Agglomerationen des Landes wie in Zürich, Genf, Lausanne oder Bern dürfte die Dichte an aktiven Popmusikern genauso gross sein. Sie alle bilden eine Volkskultur auch darum, weil sie seit den Neunzigerjahren keine Subkultur mehr sind. Die Bandprobe ist gesellschaftlich nicht weniger akzeptiert als der Jassabend, und längst spielt Pop in einem politisch breit abgestützten Netzwerk von professionell oder auch ehrenamtlich geführten Bühnen. Ob nun die Schülerband im Jugendhaus vor den Peers aufspielt, oder ob fünf Mittvierziger das Stadtfest mit alten und neuen Hits von Pearl Jam bis Adele beschallen: Die meisten dieser Konzerte locken nicht eingeweihte «Fans» an, die mit einer bestimmten Band auch an einem bestimmten Lebens- oder Gesellschaftsentwurf riechen wollen. Pop fördert nicht mehr die Distinktion, sondern führt die unterschiedlichsten Leute zusammen.

Bezeichnend ist, dass die Sprache dieser neuen Volkskultur global ist. Klar, da sind lokale Dialekte vernehmbar, doch auch sie ruhen jederzeit griffbereit im grossen und ganzen Archiv der Cloud und sind damit nur noch als Tradition lokal, nicht mehr in der handlichen Anwendung per Klick. So hat, mit einigen Ausnahmen, auch der Schweizer Mundartpop aufgehört, über die Schweiz zu erzählen, und dekliniert die gleichen Befindlichkeiten durch, wie sie auch ein Justin Bieber verhandelt. Das ist ein bemerkenswerter Widerspruch: Pop bringt als Volkskultur zwar sehr viele Leute zusammen, aber nicht dadurch, dass er von einem «Wir» erzählt, sondern immer wieder von einem «Ich». Aber dieses «Ich» ist wiederum eingeschrumpft auf den kleinsten globalen Nenner: Es ist nämlich gerade glücklich oder – häufiger – unglücklich verliebt und geht durch melancholische Phasen. Es will aber trotzdem nicht die Welt verändern, sondern sich selbst treu bleiben.

Aber haben das Volkslieder nicht schon immer geleistet, einfach nicht auf globaler, sondern auf lokaler Ebene? Wer sich in einem solchen Global-Ich wiedererkennt, drückt sich mit einem Lied von Justin Bieber oder Rihanna genauso aus, wie es unsere Vorfahren mit einem Volkslied wie «Stets i truure» taten. Und tatsächlich werden ja alle diese Lieder im Augenblick ihres Erscheinens zum Allgemeingut: Die einschlägigen Seiten im Internet bunkern ihre Akkordfolgen und Texte, und auf Youtube gibt es die Tutorials, in denen man lernen kann, wie man sie richtig spielt. Zum Beispiel «Hello», den Welthit von Adele vom Herbst 2015. Es gibt auf Youtube mehrere hundert Versionen des Songs, es gibt ihn auf Spanisch, auf Russisch und auf Suaheli. Es gibt «Hello» als Pianosolo und auf der ukrainischen Laute. Es gibt  «Hello» als Reggae, als Metal und als Rap. Es gibt «Hello» in der geschmeidigen Soulversion eines Leroy Sanchez, die von 29 Millionen Menschen angesurft wurde, oder von Jessica Muniz, deren melodramatisch vor einer Holzbrücke eingesungene Version zum guten Glück nur 108 Mal gesehen wurde.

Das Internet gleicht hier einem virtuellen Hootenanny, an dem alle zusammenkommen, um ein paar Lieder zu singen, die jeder kennt. Und niemand hat diesen Sachverhalt so liebevoll und ironisch auf den Punkt gebracht wie der US-Songwriter Beck Hansen, als er 2012 seinen «Song Reader» veröffentlichte. Denn dieses Album gab es nicht als LP oder CD oder Download, sondern nur als Notenbuch, und die erste Single war eine vierseitige Partitur in G-Dur. Ein nostalgisches Unterfangen, gewiss, doch gab es zum sorgfältig manufakturierten Büchlein auch eine gleichnamige Website, auf der Hansen nun die Videoclips mit all den Versionen veröffentlichte, die bald aus aller Welt bei ihm eintrafen. Und was für ein wunderbarer Einblick das war in die Küchen und Stuben der weltweiten Basisgitarrendemokratie! Die neueste Single von Beck direkt vom Stubenklavier in Rümmelsheim oder aus der Einbauküche in St. Petersburg. Der stromlose Weltpop vor der Digicam als Hausmusik der digitalen Nomaden.

All diese Direktverschaltungen einer neuen Heimeligkeit mit dem World Wide Web passen gut zum Phänomen, dass Folk seit einigen Jahren auch als musikalischer Stil boomt. Bands wie die Fleet Foxes, Bon Iver oder Mumford & Sons verkaufen ihre Lieder in millionenfacher Auflage und spielen in grossen, ausverkauften Sälen. Zu ihrem halb akustischen Hymnensound tragen sie Bart und Bauernhemd und zitieren damit jene regionale, ländliche Verwurzelung herbei, die ihr globalisierter Folkpop nicht mehr hergibt. Aber das ist natürlich kein Widerspruch, sondern ein Erfolgsrezept: Folk erreicht die Massen darum, weil er eine Gegenerzählung zur Globalisierung schreibt, die global lesbar ist. Der «Song Reader» von Beck war der perfekte Kommentar dazu: Denn der neuen Folkbasis genügt es eben nicht, zu Hause auf dem Sofa diese Lieder zu singen; die Welt soll auch sehen, wie das Sofa aussieht, und hören, wie schön das Lied nun klingt. Das also ist Pop als Volkskultur, und vice versa. Das ist Cocooning als Castingshow, ein Rückzug ins Private, der wahrgenommen und bewertet werden will. «Thanks for sharing», schreiben noch die verschupftesten der Adele-Adepten zu ihrer Version von «Hello».

Eines fällt auf an all diesen halbanonymen Menschen und ihren Versionen von «Hello»: So gut wie nie verstehen sie ihr Cover als Spiel mit dem Original oder sogar als Parodie. Sieht man sich ähnliche Videos an, die Fans von Madonna, Michael Jackson oder Prince gemacht haben, den Superstars aus den Achtzigerjahren, zeigt sich ein ganz anderes Bild: Eine belustigte Distanz prägt die meisten Filmchen, die Sängerinnen und Tänzer eifern dem Star nicht einfach nach, sondern treten bewusst als Epigonen auf, die natürlich scheitern müssen. Es ist, als liessen sie die herrlichen Identitätsangebote, die ihnen die Stars machen, in die Realität zurückfallen: Wenn sich Madonna in «Hung Up» (2005) mit 47 Jahren noch einmal als belastbare Stretcherin und Turnerin profilierte, so kann man zusehen, wie sich ihre real existierenden Verkörperungen mitten in der Performance schon mal im Schritt das recht verschwitzte Trikot richten müssen. Die Performance der Stars prallt so aus einiger Fallhöhe im Alltag der Internetgemeinde auf. Doch es ist nicht so, dass der Star darum banal würde. Im Gegenteil: Der Vorgang macht beide grösser, die Banalität wie den Star. Es ist die pure Popmagie.

Bei Adele sind die wenigen Parodien schrill, sogar bösartig. Die meisten Videos zeigen aber Sängerinnen und Sänger, die sehr bemüht sind, sich selbst auszudrücken mit ausgerechnet einem der durchgenudeltsten Radiohits der letzten Jahre.

Adele verkauft die Werte einer Volkskultur, aufdatiert durch und für die moderne Castinggesellschaft. 

Gut, man könnte sagen, in den Songs der britischen Soulsängerin gehe es gerade um den authentischen Gefühlsausdruck, während Madonna ja mit verschiedenen Identitäten gearbeitet habe. Das stimmt natürlich, aber vielleicht ist es kein Zufall, dass der grösste Popstar der Gegenwart das alte Popspiel um die Frage, wer man auch noch sein und wie man auch noch leben könnte, nicht mehr mitspielt.

Adele verkauft Echtheit, Bodenständigkeit und Identifikation. Es sind die Werte einer Volkskultur. Aufdatiert wurden sie durch und für die moderne Castinggesellschaft, in der es eben nicht um die schönsten Lebensentwürfe geht, sondern darum, das allgemein bekannte Programm möglichst als Klassenbester zu durchlaufen.

Aber natürlich gibt es die, die dabei nicht gesehen werden. Menschen wie Jessica Muniz mit ihren 108 Views. Aber da ist ein Künstler, der sich gerade für die Sperr- und Todeszonen der Aufmerksamkeitswirtschaft interessiert. Er heisst James Hinton, nennt sich The Range und sampelt für seine eleganten elektronischen Songs die Stimmen, wie sie aus dem Pophinterland zu ihm kommen. «Hier gibt es eine viel breitere Palette an Gefühlen und Geschichten als auf der Oberfläche von Youtube», hat Hinton in einem Interview erklärt, «und man bekommt es mit wirklichen und interessanten Dingen zu tun.» Der 27-jährige Amerikaner hat also in den Tiefen des Internets nach Originalen gefahndet, genau so, wie Harry Smith für seine berühmte «Anthology of American Folk Music» von 1952 im unüberblickbaren Wust der alten Folkmusik die wunderlichsten und ergreifendsten Stimmen aufspürte. Die «Anthology» wurde zu einer der einflussreichsten Liedersammlungen der Geschichte, sie beschwor eine Gegenwelt zum Alltag, das «old weird America». Und entwarf so in 84 seltsamen, betörenden Folkaufnahmen den Mythos vom Rock ’n’ Roll.

Vielleicht lässt sich davon lernen. Wenn Pop aus der Volkskultur wieder herausfinden will, muss er ihr unwegsamstes Gelände erforschen. Da fährt zwar kein Bus hin. Aber vielleicht beginnen die Appalachen ja schon auf der 28. Resultatsseite unserer nächsten Googlesuche. Wer geht mit ins new weird Web?

Musiker sein

«Es bräuchte etwas mehr Selbstbewusstsein in der Schweiz»

Wie sieht der Alltag von Schweizer Popmusikern aus? Brandy Butler, Fabian Chiquet und Jimi Jules im Gespräch mit Dominik Landwehr und Philipp Schnyder von Wartensee.

Brandy Butler (*1979): Amerikanerin, die seit dreizehn Jahren in der Schweiz lebt. Musikerin, Sängerin, Schauspielerin. Verfolgt eigene Projekte unter ihrem eigenen Namen: Brandy Butler and the Brokenhearted, Chambersoul, Dee Dee Day Club, Brandy Butler and the Fonxionaires. Arbeitet auch mit Kindern (Muki-Musik).

Fabian Chiquet (*1985): Hat 2006 zusammen Elia Rediger die Band The bianca Story gegründet und diverse Alben produziert, u.a. auch im Kunstbereich. Produziert auch Musik für Theater. Sein Soloprojekt The Wedding Party Massacre war 2016 auch am m4music zu sehen.

Jimi Jules (*1987): Macht elektronische Musik seit acht Jahren. Zuvor eher Rock, aber auch Klassik und Jazz. Schwerpunkt liegt heute auf der Produktion von Musik für Dritte.

Wenn wir uns die Kurzbeschreibung Eurer musikalischen Tätigkeit ansehen, dann fällt uns eines auf: Vielfalt, jeder hat mehr als ein Standbein. Stimmt das? Und welches war Euer erfolgreichstes Projekt der letzten Jahre?

Jimi Jules:
Jeder von uns hat Projekte, mit denen er Geld verdient, und andere, die er vielleicht eher als Hobby betreibt.

Brandy Butler: Ich bin selber sehr kreativ und habe extrem viele Ideen. Ich habe ein grosses Netzwerk und finde es auch sehr wichtig, in der Gemeinschaft verankert zu sein.

Jimi: Ich habe vor zwei Jahren den Song «Pushing On» produziert, der überall ausser in der Schweiz vorne in den Charts war: in England, Belgien, USA. Ich hatte gar nicht geplant, den Song rauszubringen. Zuerst war er in den Undergroundplattformen ganz vorn, also da, wo DJs ihre Musik holen.

Hast Du hier auch Geld verdient? Wenn ja, wie viel?

Jimi: Ja, da habe ich Geld verdient und konnte sogar die Schulden aus meinem Studium zurückbezahlen. Wie viel? Das sag ich nicht. Aber mit einem Song, der in England in den Top Ten ist, verdient man schon Geld. Ich konnte auch Filmlizenzen verkaufen, das war sehr toll.

Man hört oft, mit Popmusik könne man kein Geld mehr verdienen. Du hast offenbar den Traum jedes Popmusikers realisieren können  …

Fabian Chiquet:
Die Träume der Popmusiker sind sehr unterschiedlich, und da geht es auch nicht immer um Geld. Mein Traum ist es, alle Künste miteinander zu verbinden. Musik ist für mich immer Teil eines Gesamtkunstwerkes. Deshalb unterscheide ich auch nicht zwischen verschiedenen Bereichen. Beides ist wichtig: Musik und die Kunst der Inszenierung, und mit beidem ist es möglich, Geld zu verdienen: Mit The bianca Story habe ich auch viele Songs geschrieben, die im Radio gespielt wurden – der wohl erfolgreichste war übrigens der Remix eines deutschen DJs, der dann auch im Fernsehen benutzt wurde. Wir haben aber auch Geld verdient mit Auftragsmusik für Theaterproduktionen, wo es finanziell dank besserer Subventionen ganz anders aussieht.

Brandy: Für mich ist Erfolg etwas, was mich berührt hat. Ich habe für grosse Künstler im Background singen können und habe mich sehr über ihren Erfolg gefreut. Für mich ist zum Beispiel mein Kinderprojekt sehr wichtig und auch meine stabilste Einkommensquelle. Das ist sehr bereichernd für mich. Es ist für mich sehr wichtig, mit Menschen zusammen zu sein und die Liebe zur Musik weitergeben zu können.

Von den Erfolgen der Vergangenheit zu den Herausforderungen der Gegenwart: Was ist für Euch im Moment die grösste Herausforderung?

Jimi: Ich mache alle paar Monate EPs. Mitte Juni kommt eine Auskoppelung aus meinem Album. Im August mein Projekt mit Kalabrese. Im September das Album und danach eine Tour   … das braucht Nerven und Energie auch am Wochenende und in der Nacht. Das Reisen ist sehr anstrengend. Als DJ ist man oft zwanzig Stunden unterwegs, um dann zwei Stunden Musik zu machen. Das Geld kriegt man für die Reise, und der Rest ist Spass.

Fabian: Ich produziere im Moment vor allem im Studio und komponiere neue Werke. Das braucht zwar viele Nerven, dafür kann man sehr unabhängig entscheiden, wann man arbeiten will.

Brandy: Ich arbeite im Moment an einem Soloalbum und war gerade mit Eurovision als Backgroundsängerin unterwegs. Dann habe ich eine Tournee mit Erika Stucky gemacht. Ich mache etwas weniger für andere und bin zum ersten Mal im Sommer nicht unterwegs. Ich habe ein Projekt mit dem Pianisten Bojan Z aus Paris, das fast fertig ist, und bin mit Duck Duck Grey aus Genf am Arbeiten, das gibt das erste Popprojekt. Ich habe auch ein neues feministisches Musikprojekt am Start.

Wie ist bei Euch das Verhältnis zwischen administrativer und kreativer Arbeit?

Brandy: Früher habe ich alles allein gemacht. Ich habe aber gemerkt, dass ich gar nicht überall gleich gut bin. Deshalb arbeite ich nun mit einem Produzenten, einem Booker.

Jimi: Bei uns machen sehr wenige das Booking selber. Wir müssen mit Agenturen arbeiten. Auch habe ich einen persönlichen Manager, der mir hilft, die Zeit einzuteilen.

Fabian: Unterschiedlich, aber das Kreative überwiegt. Es ist immer alles eine Frage des Fokus. Es ist schwierig, mit den vielen Wünschen und Träumen umzugehen. Man muss sich entscheiden und dann etwas durchziehen, sonst verzettelt man sich. Es ist oft besser, weniger zu machen und das dafür richtig gut. Qualität braucht Zeit.

Ihr habt eine grosse Freiheit. Gibts manchmal auch Momente, in denen ihr lieber einen geregelten Job hättet?

Fabian: Ja, die gibt es. Grundsätzlich würde ich meinen Job aber als ziemlich geregelt bezeichnen, es ist ja meine Entscheidung, wie ich ihn ausfüllen möchte. Was ich mir eher wünschen würde, wäre besser abschalten zu können. Das ginge vielleicht einfacher in einem Job, wo man nicht so existenziell vom Erfolg seiner Projekte abhängig ist.

Jimi: Ich habe auch eine Familie. Früher war ich Tag und Nacht unterwegs. Heute ist das nicht mehr so. Seitdem ich ein Kind habe, mache ich oft am Vormittag die anspruchsvollen Sachen und nicht mehr in der Nacht.

Brandy: Ich hab in den USA als Primarlehrerin gearbeitet und fand das extrem anstrengend. Ich geniesse mein Leben heute, es ist viel einfacher. Ich habe ein Kind, aber arbeite nicht nach einem fixen Plan.

Den Popmusikern haftet ja das Klischee vom wilden Leben an. Davon ist bei Euch nichts mehr zu spüren.

Brandy: Wir leben in einer anderen Zeit. Die Leute gehen nicht mehr so gerne aus. Man macht vieles zuhause, schaut Netflix  … Die Szene ist viel ruhiger  geworden. Früher ist man mit allen seinen Freunden zum Konzert gegangen, heute ist das nicht mehr so.

Jimi: Die Popwelt ist anständiger geworden. Das Business ist wichtiger. Früher hat niemand die elektronische Clubmusik ernst genommen. Heute ist alles viel sauberer geworden. Alles ist geordnet. Es gibt keine Möglichkeit mehr, irgendwie in ein Konzert reinzuschleichen. Ich war als Kind oft mit der Mutter in der Berner Reithalle. Es gab überall Türen, wo man hineinkommen konnte. Am Gurtenfestival hab ich nie Eintritt bezahlt. Heute geht das nicht mehr. Es ist alles geordnet, und man darf nicht einmal mehr Getränke selber zum Festival mitnehmen.

"Mich interessiert das ­Klischee von Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll viel weniger als das Finden eines Gemeinschaftsgefühls."

Fabian: Mich interessiert das Klischee von Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll viel weniger als das Finden eines Gemeinschaftsgefühls. Man findet das heute eher in den Nischen, und die sind zum Teil gross. Ich denke zum Beispiel an die Black-Metal-Szene. In diesen Nischen und Szenen gibt es sehr wohl noch ein Gemeinschaftsgefühl wie in der Hippiezeit. Ich war letztes Wochenende auf einer Party, die via SMS organisiert wurde – und da waren am Schluss tausend Leute und haben um ein paar Lautsprecher herum herumgetanzt.

Von der Szene nun zur Musik: Was hat sich beim Musikmachen in den letzten zehn Jahren geändert?

Fabian: Früher war es wichtig, dass man nahe beieinander gewohnt hat. Heute kann man viel mehr am Computer machen, und es spielt nicht mehr so eine Rolle, wo man lebt. Man entwickelt die ersten Ideen zuhause am Computer, tauscht sich international aus und trifft sich zu einem viel späteren Zeitpunkt.

Das gilt ja nicht nur für das Songwriting, es gilt auch für die Produktion und die Distribution: Heute passiert alles am Computer. Der einzelne hat jetzt plötzlich wahnsinnig viele Möglichkeiten.

Jimi: Dank des Computers hat man die Möglichkeit, alles total anders zu machen. Dafür entwickelt man nicht mehr so viel zusammen.

Brandy: Ich bin schon fast dreissig Jahre als Musikerin unterwegs. Mir scheint, die Qualität ist heute viel besser als noch vor zwanzig oder dreissig Jahren. Ein Song muss von Anfang an gut sein. Und du musst als Künstler nicht nur gute Musik machen, du musst auch ein guter Entertainer sein, ein gute Lightshow haben. Für mich kommt das Menschliche heute fast etwas zu kurz.

Jimi: Du kannst heute alles sofort hören. Aber am Schluss zählt immer noch die Qualität der Musik. Das hat sich nicht geändert. Es braucht auch heute eine Message.

"Du kannst heute alles sofort hören. Aber am Schluss zählt immer noch die Qualität der Musik."

Musikmachen in der Schweiz: Wie ist das für Euch? Und was sind Vorteile und Nachteile?

Brandy: Hier ist es im Gegensatz zu den USA viel einfacher, Unterstützung für ein Projekt zu erhalten. Ich habe für mein neuestes Projekt zum Beispiel Geld vom Popkredit der Stadt Zürich und auch vom Kanton Zürich erhalten, auch vom Migros-Kulturprozent und von der Ernst Göhner Stiftung. Aber es fehlt etwas an Kampfgeist. In London oder in den USA gibts viel mehr Konkurrenz, und du musst für dein Projekt kämpfen.

Jimi: In der Schweiz ist die Ausbildung am besten, es gibt viele Möglichkeiten, zu spielen. Aber es fehlt die Begeisterung beim Publikum. Die Leute sind verwöhnt und haben alles. Der Schritt ins Ausland ist deshalb einfacher. Den Kampfgeist brauchst du schon in der Schweiz.

Fabian: Für mich ist die Mentalität in der Schweiz nicht grundsätzlich anders als anderswo. Ich halte dieses Nationalitätendenken für sehr langweilig. Ich finde, wir sind hier extrem privilegiert in Sachen Ausbildung und Unterstützung. In England zum Beispiel gibts viel weniger Förderung, und oft ist diese dann mit sehr strengen Auflagen verbunden. In der Schweiz sind die Förderer grosszügig. Deshalb wird hier viel qualitativ hochstehende Kunst und Musik produziert.

Wie sieht es mit der Exportförderung aus? Wird hier genug unternommen?

Fabian: Wir sind mit The bianca Story sehr früh ins Ausland gegangen und haben auch von der Exportförderung profitiert. Das ist extrem wichtig. Es braucht aber nicht nur Unterstützung für die Musiker, es braucht auch vernetzte Leute und tragfähige Strukturen. Dazu gehören auch Labels und Booker. Auch sie müssen sich besser vernetzen, denn hier gibt es fast die grösseren Defizite. Aber momentan tut sich viel.

Brandy: Ich war zwei Wochen für den Eurovision Song Contest als Backgroundsängerin unterwegs. Mir ist aufgefallen, wie man die Schweiz im Ausland wahrnimmt. Hier gibts schon Defizite, und vielerorts wird die Schweiz immer noch mit Schweden verwechselt. Die Szene ist in den letzten Jahren sehr gewachsen, und es gibt viele Musiker, die grosses Potenzial haben. Wir müssen ins Ausland gehen und haben auch etwas zu bieten. Es braucht deshalb Netzwerke und Plattformen.

Jimi: Es gibt auch Schweizer Musiker, die kennt man nur im Ausland und bei uns nicht, gerade in der Technoszene: Ripperton, Deetron, Luciano, Mirco, Andrea, Adriatique  … Das sind Top Shots der elektronischen Szene, aber in der Schweiz kennt sie kein Mensch. Mir ist das mit meinem Song «Pushing On» so gegangen: Im Radio fand man, er ist zu sehr Underground. Britische Radiosender haben ihn in der Tagesrotation gespielt … Es bräuchte etwas mehr Selbstbewusstsein in der Schweiz …

Die Popmusik ist eine Männerwelt. Laut Suisa sind fünfzehn Prozent der Komponisten aus der Schweiz Frauen.

Brandy: Ich will eine musikalische Frauen-Community aufbauen. Mich stört es, dass ständig über meinen Körper und meine Hautfarbe geredet wird und nicht über die Musik. Wenn ich das aber sage, dann werde ich kritisiert. Auch der Jazz ist übrigens total männerdominiert, gerade in den USA, wo ich die Jazzschule gemacht habe. Ich will dafür kämpfen, dass das anders wird. Es gibt nicht genug Frauen in der Szene, und es braucht Ideen, wie man das ändern kann. Und es braucht auch Action!

Jimi: Ich glaube, kurzfristig ist das sehr schwierig zu ändern. Aber die Generation der Jungen heute, die tickt schon ganz anders.

Viele Veranstalter klagen, dass die Gagen in den letzten Jahren gestiegen sind. Gilt das auch für Eure Gagen?

Jimi: Meine Gage ist mit dem Erfolg gestiegen. Ich habe den Eindruck, dass die grossen mehr verdienen und die kleinen weniger. Viele müssen auch gratis spielen. Es ist alles viel professioneller geworden. Die Clubs und die Veranstalter haben Auflagen, und das macht die Konzerte teurer.

Fabian: Meine Gagen sind auch gestiegen. Ich bin allerdings kein Veranstalter und kann deshalb nicht sagen, ob sich dies überproportional zum Bekanntheitsgrad verhält.

Brandy: In den USA gabs keine festen Gagen, wir waren einfach an den Ticketeinnahmen beteiligt. Das Modell kommt immer mehr auch in die Schweiz. Der Veranstalter sagt: Wir sind ein Venue, du musst aber deine Fans bringen. Es gibt immer weniger Clubs mit Stammpublikum. Vor zehn Jahren habe ich pro Konzert zweihundert bis dreihundert Franken verdient. Heute genau gleich viel. Das ist sehr wenig, und davon zu leben ist schwierig. Acht bis zehn Gigs pro Monat machen zweitausend Franken pro Monat, das reicht kaum. Früher war es auch klar, ich musste jede Anfrage annehmen.

Habt Ihr eine Pensionskasse?

Brandy: Ich habe eine Pensionskasse.

Jimi: Ich zahle das Minimum. Für mich ist es wichtig, viele Songs zu machen, das ist auch eine Altersvorsorge.

Fabian: Ja. Wenn man ein Kind hat, macht man sich da mehr Gedanken.

Welche Wünsche an die Kulturförderung habt ihr?

Jimi: Ich wünsche mir mehr Musik in der Öffentlichkeit, mehr Musik und Leben in der Strasse und weniger Einschränkungen und Verbote durch die städtischen Behörden.

Fabian: Ich sehe das auch so. Ich wünsche mir aber auch mehr Frauenförderung – nicht nur in der Musik selber, auch im Hintergrund bei  den Labels und Bookers. Es braucht hier unbedingt Ideen, um diesen beschämenden Prozentsatz von Frauen in der Musikindustrie zu ändern.

Brandy: Mir ist Musik im Alltag wichtig. In der Kultur der amerikanischen Schwarzen gab es früher Musik für jede Zeit. Ich finde Musikförderung an den Schulen sehr wichtig. Die Musik gehört zum Leben.

Hallo Leiden- schaft!

Eine kurze Geschichte der Popmusik im Radio

Von Ane Hebeisen

Vor noch gar nicht so langer Zeit hatte das Radio das Zeug, den Musikliebhaber vor dem Gerät zu fesseln. Heute ist Radio nur wenig mehr als Begleitmedium. Radiopersönlichkeiten verschwinden, schon heute werden die Programme von Computern gemacht. Hat das Medium Radio so überhaupt noch eine Zukunft?

Einst hatte der Chronist das Vergnügen, den Fredy aus Pieterlen kennenzulernen. Er hatte sich in den frühen Achtzigerjahren einen Namen gemacht, indem er praktisch jede Plattenverlosung der Musiksendung «Sounds!», die bis 1983 noch auf DRS 2 ausgestrahlt wurde, für sich entschied. Er war stets ein bisschen schneller als die Restschweiz, weil er ein Telefon mit Tasten und keins mit Wählscheibe besass. Und das Erstaunliche: Der Fredy aus Pieterlen ist noch heute in der Lage, aus dem Stegreif Ansagen des damaligen Moderators François Mürner – mitsamt den entsprechenden Jingles – zu rezitieren. Und er ist beileibe nicht der Einzige mit dieser merkwürdigen Fähigkeit.

Es gibt kaum einen Musikschaffenden, der in den Neunziger- oder in den Nullerjahren relevante Beiträge zur Schweizer Musik beisteuerte und nicht im Besitz von Kassetten war, auf denen sich Mitschnitte diverser «Sounds!»-Sendungen finden. Pro Sendung – sie dauerte 45 Minuten – hat man im Minimum einen Song entdeckt, für den sich der «Record»-Knopf zu drücken lohnte. Und weil sie so kurzweilig war, nahm man die Abmoderation gleich noch mit auf. Es soll Leute geben, die diese Kassettensammlung bis heute aufbewahrt haben. Sowohl hier wie in der Vorgängersendung «Musik aus London» wurden Einblicke in eine Musikwelt geboten, die nicht i das damals noch recht übersichtliche Schema von U- und E-Musik oder in die Radio-Beromünster-Welt passen wollten. Da gab es Punk zu entdecken, Vorboten der Neuen Deutschen Welle, Postpunk, erste elektronische Essays, und neben der neuesten Musik gab es Information, Inbrunst und ein bisschen Irrsinn.

«Ach, lieber Chronist», werden die Menschen der Neuzeit nun stirnrunzelnd einwenden. «Es ist ja schön, dass Sie solch nette Erinnerungen an das Medium Radio haben, doch im Hier und Heute ist nicht nur das Format der Kompaktkassette ziemlich aus der Mode gekommen, man verfügt auch schon seit einiger Zeit über etwas benutzerfreundlichere Informationsmöglichkeiten, als pünktlich um 18.05 Uhr mit einem Aufnahmegerät vor dem Radioempfänger zu sitzen. Ausserdem können die Radios von heute nichts dafür, dass die Welt nun schon seit längerer Zeit keine aufregende Jugendkultur mehr hervorgebracht hat.» Und die Menschen der Neuzeit haben natürlich recht. Die Gefahr ist beträchtlich, bei der Analyse des Mediums Radio in eine ungute Nostalgieschmacht zu verfallen. Und dennoch insistiere ich: Wer käme heute auf die Idee, einen Wortbeitrag von Mario Torriani auf einen wie auch immer gearteten Speicherträger zu bannen und diesen mitsamt dem nachfolgend gespielten Song für die Ewigkeit aufzubewahren?

Natürlich klang das DRS-Radioprogramm vor 35 Jahren keineswegs ­besser als heute.

Doch werden wir sachlich. Natürlich klang das DRS-Radioprogramm vor 35 Jahren keineswegs besser als heute. Natürlich werden auch die Pionierjahre des 1983 gegründeten «Störsenders» DRS 3 heute ein bisschen verklärt – vor allem wenn man sie mit dem vergleicht, was die welschen Kollegen von Couleur 3 zeitgleich unter subversivem Radiomachen begriffen. Und Tatsache ist, dass die Sendung «Sounds!» glücklicherweise ja immer noch existiert, notabene mit dem gleichen Musikredaktor (Urs Musfeld) wie damals.

Dennoch stellt sich die Frage, warum das heute meist als flüchtig wahrgenommene Medium Radio vor noch gar nicht so langer Zeit das Zeug hatte, den Musikliebhaber vor dem Empfangsgerät zu fesseln, auch wenn es nur für 45 Minuten war. Vermutlich hat es mit Leidenschaft und mit Persönlichkeiten zu tun. Beides ist – selbstredend nicht bloss in der Schweizer Radiolandschaft – vom Aussterben bedroht. Während des Verfassens dieser Zeilen hat der WDR gerade beschlossen, seinen wunderbaren Spartensender Funkhaus Europa so zusammenzusparen, dass jene Sendegefässe, die noch von musikalischen Meinungsmachern gestaltet worden sind, einem computergenerierten Musikprogramm weichen müssen. Eine Entwicklung, die bei SRF schon längst abgeschlossen ist. Die Moderatoren moderieren eine Musikauswahl an, mit der sie kaum etwas am Hut haben. Und der Computer spuckt aus, was man dem gemeinen Radiohörer glaubt, zumuten zu können: Das ist im Wesentlichen Hitparadenpop, ehemaliger Hitparadenpop und Pop, der gerne in die Hitparade kommen würde. Doch war Radio nicht immer dann am intensivsten, wenn die Menschen dahinter spürbar waren, Menschen, die sich mit aller Leidenschaft in die Materie vertieften und ihre Hörer damit anzustecken trachteten? War Radio nicht dann am denkwürdigsten, wenn Radiopersönlichkeiten den Rahmen des Gängigen etwas weiter steckten?

Diese Meinung teilt zumindest der ach so kostbare Sender BBC Radio 6 Music. Hier werden die Sendungen von Moderatoren und DJs gestaltet, die in ihren musikalischen Nischen ein vertieftes Wissen aufweisen. So hat hier beispielswiese der Sohn der Radiolegende John Peel eine eigene Sendung, in der er sein weites Klanguniversum vorstellen darf. Auch in der Schweiz gibt es noch solche Sendungen. «Radio Paradiso» des Radiojournalisten Yann Zitouni auf La Première zum Beispiel. Oder Jean-Marc Bählers «Republik Kalakuta» auf Couleur 3.

Vor einiger Zeit war der Chronist zu Besuch bei SRF 3. Der Musikverantwortliche erklärte ihm anhand des Programm-Computers das musikalische Konzept des Senders, an dem sich bis heute offenbar nichts geändert hat. Als Erstes räumte er mit einem Mythos auf: Die Moderatoren hätten nicht die Möglichkeit, selber Titel ins Programm zu streuen, wohl aber Lieder, die der Computer vorschlägt, zu tauschen. Und er veranschaulichte das anhand eines Beispiels. Anstatt Sina zu spielen, schlug der Computer als Alternative amerikanischen College-Rock von Good Charlotte oder einen Popschlager von U2 vor. Ausserdem sei der Computer dergestalt programmiert worden, dass nicht mehr als drei Songs mit Frauenstimme aufeinanderfolgen. Und – quasi der Leitgedanke der Musikauswahl – dass auf einen eher unbekannten oder neuen Song ein sogenannter Gold-Titel folgt, also einer, von dem man ausgeht, dass er dem Hörer geläufig ist.

Das klingt dann am Schluss tatsächlich nach Radio, nicht aber nach leidenschaftlichem Radio. Spricht man mit den Verantwortlichen über SRF 3, fällt einem ein sonderbar vorauseilender Gehorsam auf. So reichen zum Beispiel die musikalischen Präferenzen der verschiedenen Musikredaktoren von den Young Gods über Björk bis hin zu dEUS oder Mark Lanegan. Künstler, die im Tagesprogramm des Senders allesamt nicht stattfinden. Die Musik des Senders fusst also nicht auf dem eigenen musikalischen Ermessen der Spezialisten, sondern man mutmasst sich einen allgemeinen Hörergeschmack zusammen. Es gibt viel selbst auferlegte Vorsicht und selbst erfundene Sachzwänge. Von den 25- bis 44-Jährigen soll niemand brüskiert werden, und wenn doch, dann allerhöchstens für die Dauer eines einzelnen Stückes.

Wenn über die Radiolandschaft der Deutschschweiz diskutiert wird, dann fällt schnell der Begriff «Kulturauftrag». Niemand weiss so genau, was er bedeutet. Doch er geht einher mit der Frage, ob es nicht die Aufgabe eines staatlichen Senders sein müsste, der Schweiz darzutun, dass es irgendwo da draussen Spannenderes gibt als die Gala-Afrikanerin Angélique Kidjo, dass es tiefschürfendere Balladen gibt als jene von Ed Sheeran, dass es prickelndere Tanznummern gibt als jene von Pitbull. Und dann werden in den Diskussionen meist diverseste Vorstellungen präsentiert, wie so ein Staatssender zu klingen hätte, der sich dem Anspruch genügen kann, kulturell wertvoll zu sein, der die Möglichkeit und die Mittel hätte, Popmusik in ihrer ganzen Vielfalt und Verästelung abzubilden.

Dass diese Vorstellungen selbst unter dem SRF-Dach ganz unterschiedlich sind, lässt sich jeden Tag im Direktvergleich zwischen den Programmen von Couleur 3 und SRF 3, aber auch von La Premiere und SRF 1 nachhören. Sagen wir es so: In der Westschweiz scheint man der Überzeugung zu sein, dem Publikum etwas mehr zumuten zu können als in der Deutschschweiz. Ein Beweis für diese These lieferte eine lustige Diskussionsrunde an der Schweizer Musikmesse m4music im Jahr 2006. Das Thema des Panels war, wie man es als Schweizer Band ins Schweizer Radio schaffen könnte. Die damalige DRS-3-Musikverantwortliche wurde aufgefordert zu erklären, wie ein Lied beschaffen sein muss, das in ihrem Radio gespielt werden kann: «Der Song sollte einen schönen Refrain haben, das mögen die Leute, das wissen wir. Er sollte auch möglichst sauber gespielt sein, und er darf keine Löcher im Ablauf oder allzu lange Soli haben.» Als sich die Blicke auf den ebenfalls in der Runde sitzenden Couleur-3-Musikchef richteten, lächelte dieser verlegen und meinte, dass die Ballung all dieser Attribute ein Grund dafür wäre, dass ein Song auf Couleur 3 eher nicht gespielt würde. Die anwesenden Musiker waren merklich erleichtert.

Generell kann gesagt werden, dass es – überall auf der Welt – keine besonders gute Idee ist, sich als Musikproduzent den Geschmack des gemeinen Radio-Musikredaktors als Blaupause des eigenen Schaffens zugrunde zu legen. Und dennoch tut das natürlich so mancher Produzent irgendwie doch. Er wird beispielsweise darauf verzichten, ein dreiminütiges Saxofonsolo in seinen potenziellen Sommerhit einzuplanen, selbst wenn er dies die hübscheste Idee fände, die ihm in seinem Produzentendasein je in den Sinn gekommen ist. Die latente Hoffnung, doch irgendwo auf dieser Welt im Radio gespielt zu werden, lässt einen gewisse Radioregeln einhalten. Es ist also nicht von der Hand zu weisen, dass ein Staatssender das musikalische Schaffen dieses Staates in wesentlicher Weise beeinflusst. So ist es vermutlich auch kein Zufall, dass im Umfeld von Couleur 3 ein eklektisches Festival wie das Paléo in Nyon gedeihen konnte. Und es ist anzunehmen, dass die Radios nicht ganz unschuldig daran sind, dass gewisse Deutschschweizer Open Airs heute klingen wie das Tagesprogramm von Radio Energy.

Dass die Radios für die Schweizer Popmusik noch  immer eine wichtige Rolle spielen, ist offensichtlich. Auch das hat in den jungen «Sounds!»-Jahren seinen Anfang genommen. Die Redaktion um François Mürner hat Bands ins Radiostudio geladen, um sogenannte Cassingles (Kassetten-Singles) aufzunehmen, die dann in der  Sendung «dünn und durchsichtig» gespielt wurden, wie er das nannte. Yello, Young Gods oder Stephan Eicher waren als erstes bei Mürner zu hören (obwohl er Letzterem in einem Interview noch vorwarf, ziemlich schäbiges Französisch zu singen).

Der Verantwortung, das heimische Schaffen zu ehren, sind sich die Programmverantwortlichen im ganzen Land offensichtlich bis heute bewusst. Ja, sie scheinen die Einschätzung des englischen Radiomannes John Peel zu teilen, der einst verkündet hat: «In der Schweiz, da passiert viel Gutes!» Er hat das freilich in einer Zeit verkündet, in der die Helden des Landes nicht Stress oder Bastian Baker hiessen, sondern Kleenex oder Yello. Aber egal. Zunächst haben die Sender SRF 3, Virus, Couleur3, Rete3 und Radio Rumantsch die Musikplattform Mx3 aufgeschaltet, auf welche Schweizer Musiker ihre Tonkunst laden können und aus welcher die Musikredaktoren sich dann auch tatsächlich bedienen. Ein beispielloses Projekt.

In der Charta der Schweizer Musik verpflichten sich die Sender einen gewissen Prozentsatz hiesiger Musik zu spielen, er liegt bei SRF 3 und Couleur3 etwa bei zwanzig Prozent. Das ist nicht ganz so beispiellos, Frankreich kennt eine Quote von vierzig Prozent, davon muss die Hälfte aus Newcomern bestehen. In Schweden liegt die Quote ebenfalls bei vierzig Prozent, allerdings ist sie freiwillig. «Eine Quote macht die heimische Musik nicht besser», maulen nun die Kulturpessimisten. Das ist wohl wahr, doch sie schärft den Fokus auf das heimische Schaffen. Und das leistet ausser den hiesigen Staatssendern garantiert niemand sonst. Als neueste Errungenschaft spielt die Sendung «Punkt CH» auf SRF 3 täglich von 19 bis 20 Uhr Schweizer Musik. Das ist ein schöner Zug. Das bisherige Programm der Sendung hat helvetischen Mainstreampop geboten, der sich stellenweise tatsächlich vom restlichen Tagesprogramm angenehm abzuheben vermochte. Dass diese Sendung das Medium in ein neues Zeitalter rettet, ist natürlich nicht anzunehmen.

Wenn sich das Radio in Zeiten von Streamings und Playlists nicht gänzlich überflüssig machen will, dann muss es in dieser unübersichtlich gewordenen Musikwelt Orientierung bieten, neue Welten öffnen, Horizonte erweitern. Wenn es das wiederkäut, was schon jeder Hörer kennt, dann ist seine Zukunft tatsächlich infrage gestellt. Das würde nicht nur der Fredy aus Pieterlen bedauern.

Kaufst du noch?

Oder streamst du schon? Die neue Medienzentrale Smartphone

Von Martina Kammermann

Für Musikfans herrschen zurzeit paradiesische Zustände: Musik ist dank Smartphone immer und überall verfügbar. «Besitzen» muss man die Songs und Tracks nicht mehr. Das verändert die Art, wie wir Musik hören, grundlegend. Für die Urheber fällt dabei kaum Geld ab.

«I got something here, that you don’t ever want to turn down  …», dudelt es morgens um 6.55 Uhr aus Annas Kopfkissen. Ihr iPhone ist in der Nacht druntergerutscht. Hot Chip, die perfekte Aufwachmusik, findet die Psychologiestudentin. Da sie morgens grundsätzlich keine Menschen ausstehen kann, setzt sie im Tram ihre violetten Kopfhörer auf. Um sie herum starren fast alle mit geknicktem Nacken und leerem Blick in ihre Handys. «Kranke Welt», denkt Anna. Sie selbst hat sich vorgenommen, wieder mehr Zeit in der Natur zu verbringen, und so geht sie am Mittag in den Wald joggen. Die «Running»-Playlist treibt sie dabei gut vorwärts, nur die Werbung zwischen den Songs nervt. Abends dann kocht Anna in ihrer WG und schaut währenddessen ihre aktuelle Serie auf dem Tablet. Bis Patrizia anruft. «Heute im Helsinki?  … Ja, nein, ich hab eben schon so halb  … ah  … ja, aber sind die wirklich gut?  … Aha, ok, ich hörs mir schnell an und schreib dir  … ok  … ok, tschüss.» Vier Stunden später steht Anna im Zürcher Helsinki. Das Konzert der Bieler Band Puts Marie hat sie mitgerissen. Als sie am Merchandisingstand vorbeigeht, zögert sie, geht dann aber weiter. Sie war am Wochenende schon auf einem Konzert, jetzt muss sie definitiv aufs Geld schauen. Auf dem Heimweg setzt sie wieder ihre Kopfhörer auf.

Anna ist erfunden. Aber in etwa so könnte der Alltag einer musikbegeisterten jungen Schweizerin heute aussehen. Für Musikfans herrschen zurzeit paradiesische Zustände: Musik ist dank unserem multifunktionalen Körperteil namens Smartphone immer und überall verfügbar. Das verändert die Art, wie wir Musik hören, grundlegend. Der gravierendste Einschnitt dabei ist, dass wir Musik nicht mehr besitzen müssen, um sie jederzeit hören zu können. Neben unserer «eigenen» Musik haben wir auch Youtube, Spotify, Tidal, Deezer, Google Play oder Apple Music immer mit dabei – das heisst: Praktisch jeden erdenklichen Song dieser Welt. In den globalen Streaming-Jukeboxen können wir uns nicht nur ständig bedienen, sondern werden auch aktiv verwöhnt: Intelligente Algorithmen sammeln für uns Musik, die exakt unserem Geschmack entspricht, aus der ganzen Welt zusammen. Massgeschneiderte Playlisten berieseln uns situationsgerecht: Waldgeräusche bei der Arbeit, dumpfer House beim Krafttraining, 80er-Hits bei der Küchenparty. Wer sich lieber auf die eigene, sorgfältig aufgebaute Musikbibliothek konzentriert, ist ebenfalls glücklich, denn mit der Cloud ist Speicherplatz auch auf dem Smartphone längst kein Thema mehr. Ob und was wir für all das bezahlen – Geld oder Werbekonsum – können wir dabei weitgehend selbst entscheiden.

Das stellt den Musikmarkt bekanntlich gründlich auf den Kopf. Dass die CD als Medium ausgedient hat, wissen wir längst: 2015 wurden in der Schweiz nicht einmal mehr ein Fünftel so viele CDs verkauft wie im Jahr 2000. Wir wissen auch, dass die MP3-Revolution der Branche nur Niederlagen brachte und diese schon wieder vorbei ist – der Downloadumsatz in der Schweiz ist in den letzten zwei Jahren um knapp ein Drittel gesunken. Kräftig im Aufwind hingegen befinden sich die Streamingdienste. Der Schweizer Streamingumsatz hat sich innerhalb der letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt und machte 2015 bereits achtzehn Prozent des nationalen Musikmarktes aus.

Schauen wir über die Berge in die Welt hinaus, wissen wir: Streaming wird weiterhin zulegen. Nach anfänglichem Widerstand haben sich auch die grossen Majorlabels vom Strom mitreissen lassen, 2015 ist Apple eingestiegen und bringt sich gegen den schwedischen Marktführer Spotify in Stellung. Welche Streamingdienste sich auf diesem hart umkämpften Markt durchsetzen werden, wissen wir nicht. Und wir können nur mutmassen, wie weit die einzelnen Anbieter in der Schweiz schon vorgedrungen sind, denn in Sachen Zahlen schweigen die Datenriesen konsequenter als jede hiesige Bank.

Die Idee der Streaminganbieter ist immer dieselbe: Man verkauft keine Musik, sondern den Zugriff darauf. Und zwar so günstig und simpel, dass sich  die Leute gar nicht mehr die Mühe machen, etwas legal oder illegal herunterzuladen. Die Rechteinhaber, also die Urheber, Interpreten und Labels, erhalten einen Anteil an den Einnahmen, erfahrungsgemäss sind es pro Stream zwischen 0.001 und 0.007 Franken. Der Betrag hängt von verschiedenen Faktoren ab. Der massgeblichste ist, ob die Person, die streamt, ein Abo gelöst hat, oder ob sie es bevorzugt, sich alle zehn Minuten einen Werbespot reinzuziehen. In letzterem Fall kommen die Künstler schlechter weg. Allerdings immer noch besser als bei Youtube: Um für ihre Videos etwas zu erhalten, können Künstler ihre Musik zwar lizenzieren und sich Anteile an der Werbung sichern – doch diese liegen noch einiges tiefer als bei Spotify.

Deshalb loben sich Spotify und Co. gerne als Retter des von Piraterie zerrütteten Musikgeschäfts: Mit dem Streamingabo habe man endlich einen Weg gefunden, dass die User für die Musik bezahlen, die sie online hören. Zumindest machen das schon dreissig Millionen von weltweit hundert Millionen Spotify-Usern, heisst es vonseiten des Musikdienstes. Und in Ländern, in denen Streamingdienste fest etabliert seien, seien die Musikmärkte gewachsen und illegale Downloads gesunken. Die Grenzen der noch jungen Streamingmodelle sind aber bereits offensichtlich. Natürlich wollen die Kunden nur zahlen, wenn auch wirklich jeder Song verfügbar ist: Ohne Beatles kein Bares. Hier können Majorlabels und grosse Stars ihre Macht ausspielen und von Spotify fette Vorschüsse für ihre Kataloge verlangen, während alle anderen Künstler und kleinen Labels das Risiko selbst tragen.

Für 295 000 Schweizer Streams auf Spotify ergibt sich eine Summe von 750 Franken.

Mike Egger muss schmunzeln, als er sich die Spotify-Abrechnung über die letzten zwei Jahre ansieht. Für 295 000 Schweizer Streams ergibt sich eine Summe von 750 Franken. Mike ist nicht erfunden. Er ist der Sänger und Frontmann der Berner Indiepopband Jeans for Jesus. «Als Band musst du heute ganz klar auf Liveauftritte setzen. Da nimmt man etwas ein und verkauft auch noch CDs. Mit Streams Geld verdienen – vergiss es.» Sein Bandkollege Demian doppelt nach: «Streamingbibliotheken wie Spotify sind ein Kompromiss mit der Gratiskultur. Zwar wird das Musikhören so wieder bewertet, aber es ist auch eine grosse Abwertung. In Wahrheit wird der Künstler ausgenommen, und die Hörer werden selbst abgehört.»

Aber warum bieten Jeans for Jesus ihre Musik trotzdem bei Spotify an? «Es bringt nichts, sich dem zu verschliessen. Wenn sich die Umwelt verändert, kannst du auch nicht sagen, ich mache nicht mit», sagt Mike. Zudem sei Spotify wie viele andere digitale Plattformen auch eine Chance, neue Hörer zu finden. Deswegen wolle er sich nicht beklagen: «Ohne Youtube wären wir nie so weit gekommen – und ich nutze Spotify auch selbst.»

Jeans for Jesus befinden sich im selben Dilemma wie zahllose andere Schweizer Bands. Während Weltstars mit Streaming richtig Schotter machen, geht man als ambitionierte Schweizer Newcomerband leer aus. Trotzdem macht man mit – des Promoeffekts wegen. Und es kann auch für Schweizer Künstler klappen: Lo & Leduc haben mit einem Song immerhin zehntausend Franken gemacht. Grundsätzlich würde man aber lieber Alben verkaufen statt Einzelsongs oder Streams. In der Schweiz ist das aktuell durchaus noch möglich. So bieten Jeans for Jesus wie die meisten Schweizer Bands ihre Musik in allen zurzeit möglichen Formaten an: Ihr Debütalbum ist als CD, als Download, als Stream und als Vinyl erschienen. Zudem ist auf ihrer Website ein Donate-Button für all jene, die das Album von Youtube gerippt haben.

Am besten verkauft sich Musik auf Konzerten. Online ist unter Indiekünstlern Bandcamp die beliebteste Verkaufsplattform. Hier können Bands ihre Musik nach den eigenen Regeln anbieten, ohne dass iTunes oder Amazon fast die Hälfte davon einkassieren. Seit 2014 hat die Schweiz ausserdem ihre ganz eigene Downloadplattform: Auf iGroove kann man Songs oder Alben per SMS direkt aufs Smartphone laden.

Doch ganz egal, wie man seine Musik anbietet – sehr viele andere tun es gleichzeitig auch. Jeder kann heute Musik veröffentlichen und sie über digitale Verteiler der ganzen Welt zugänglich machen, unabhängig von Labels oder professionellen Studios. Das Prinzip «Do it yourself» hat sich durchsetzt, der Musikmarkt ist demokratisiert. Gerade für Indie- und Nischenkünstler ist das grossartig. Um eigenständig zu produzieren, verbinden sich Schweizer Musikerinnen und Musiker immer öfter in losen Netzwerken, Minilabels und Kollektiven, bauen gemeinsam Studios auf, teilen Know-how und Kontakte und organisieren sich regional. Man stürzt sich in einen kollektiven Produktionsrausch.

Wie die meisten Räusche ist aber auch dieser am Ende ungesund. So schnell die Musik im Netz ist, so rasch geht sie auch unter im Meer der Konkurrenz. Alleine in der Schweiz erscheinen jede Woche über vierzig Alben. Im übersättigten Markt bleiben den Künstlerinnen und Künstlern also drei Überlebensstrategien: Entweder man macht marktfreundliche Musik und versucht, bei den Grossen mitzuspielen, oder man überlebt in einer winzigen, meist regionalen Nische. Oder man hat einen Job und betreibt Musik als intensives Hobby. Letztere ist die in der Schweiz die mit Abstand am meisten gewählte Variante.

Bevor man also überhaupt ans Geldeinnehmen denken kann, muss man irgendwie auffallen. Am schnellsten und einfachsten geht das dort, wo sich die Aufmerksamkeit der potenziellen Hörer sowieso befindet: auf dem Handydisplay. Wenn wir datenberauscht in unser Smartphone starren, hören wir aber nicht zwingend etwas, sondern schauen vor allem. Bilder und Videos sind im Social Web deshalb ein Muss, und Youtube ist absolut zentral. Während wir uns durch Instagram, Facebook, Twitter scrollen, sehen wir uns so einiges an und vergessen auch schnell. Deswegen promoten Bands während der langen Pausen zwischen den Alben viele Einzelsongs oder produzieren verstärkt EPs, um uns bei der Stange zu halten. Die Marketing-Credos laufen schlussendlich alle auf dasselbe raus: Die Konsumenten müssen mit ins Boot. Denn als Follower, Streamer, Liker und Crowdfunder werden wir zu massgeblichen Mitproduzenten der Künstler. Jeder Klick wird registriert, Beliebtheit ist messbar und sichtbar – für Booker, für Blogger, für Labels, für Playlistenanbieter.

Und an diesen wird in Zukunft wohl kein Weg vorbeiführen. Nach den Labels, die den Tonträgermarkt regierten, sitzen nun die Playlistproduzenten am Machthebel und entscheiden, was wir hören. «Ja, um mit Streaming Geld zu verdienen, musst du auf den Playlisten landen, wo du auf einen Schlag dreissigtausend Klicks generierst. Sonst kannst du es vergessen», sagt Andreas Ryser, Chef von Mouthwatering Records und Präsident des Vereins IndieSuisse. «Der Weg dorthin ist lang, aber es funktioniert», ist er überzeugt – sein Label macht mit Streams bereits mehr Einnahmen als mit Downloads. Ein wichtiger Punkt beim Streamingmodell sei der veränderte Einnahmerhythmus: «Früher verkaufte man direkt nach dem Release sehr viel. Heute nicht mehr, aber die Songs bleiben für Jahre im Netz und werfen – sofern die Band im Gespräch bleibt – immer wieder ein bisschen was ab.» Ryser blickt optimistisch in die Zukunft: «Die Modelle beginnen zu greifen und die Kurve im Musikbusiness zeigt nach oben.» Leider habe die Schweiz als sehr kleines Land einige Nachteile bei Spotify. «Wir haben zum Beispiel keine nationale Playlist, wie etwa Deutschland sie hat. Zudem gibt es hier schlicht nichts, was Spotify wirklich braucht. Schweizer Labels oder Künstler werden darum kaum je Vorschüsse bekommen.»

"Als DIY-Künstler kannst du heute relativ weit kommen, aber um zu ­verdienen, brauchst du eben doch die Kanäle der Industrie."

Wenn die Playlistenmacher künftig das Sagen haben – wozu braucht es dann noch Labels? «Die Musik muss ja erst einmal zu den Spotify-Leuten kommen.» Angesichts der unüberschaubaren Musikschwemme brauche es an der Basis Leute, die kuratieren, die Bands beraten, aufbauen und überhaupt erst an den Markt heranführen. Die Labels wandelten sich deshalb immer mehr zu Agenturen und konzentrieren sich auf Management, Vertrieb, Booking und PR.


«Als DIY-Künstler kannst du heute relativ weit kommen, aber um zu verdienen, brauchst du eben doch die Kanäle der Industrie.» So viel sich auch verändert – so viel verändert sich eben dann doch nicht.

Die Schweizer Musikwelt befindet sich an einem Wendepunkt: Die CD-Sammlungen verstauben in Estrichen, werden aber noch nicht entsorgt. Youtube läuft ununterbrochen auf Displays, ein Musikstreamabo ist bei vielen noch nicht auf dem Schirm. Indiekünstler lästern an der Bar über Spotify, checken am nächsten Morgen aber trotzdem gespannt ihre Klicks. Die Musikindustrie hat endlich eine digitale Einnahmequelle, aber keinerlei Kontrolle über die Mikrozahlen, mit denen sie jongliert. Das Gesetz und die Kulturförderung hinken dem Ganzen strukturell sowieso hinterher. Während Streamingdienste in anderen Ländern bereits den Markt beherrschen, ist die Schweiz ein vergleichsweise jungfräuliches Terrain, bereit, von ihnen erobert zu werden. Wie lange sie wohl den Ton angeben? Der Durchbruch der Schallplatte ist schliesslich gerade mal hundert Jahre her.

«Geil gsi! #putsmarie #heul», tippt Anna im Tram und postet ihr Foto, das sie am Konzert gemacht hat. Ihren Freunden gefällts, dass es ihr gefallen hat. Der Band gefällt das auch. Den Bookern, den Veranstaltern, dem Label gefällts – und vielleicht fällt das ja einem Algorithmus auf. Egal von welcher Seite man es betrachtet: Livemusik kommt immer gut. Im Zweifelsfall also: Hingehen!

Clips, Klicks & Cash

Musikvideos und ihre Tantiemen

Von Lena Rittmeyer

Videoclips sind teuer. Trotzdem setzen viele Künstler auf aufwändige Produktionen. Denn wenn der Clip gut ist und sich viral über ­Social-Media-Dienste verbreitet, kann er zum Selbstläufer werden. Egal auf welcher Online-Plattform man ihn hochlädt: Geld verdienen lässt sich mit Videoclips nicht. Es geht nämlich um mehr.

Es herrscht höchste Konzentration hinter den verriegelten Fensterläden der Basler Lady Bar. Bis vor Kurzem war hier noch das Ausgangsvolk zugange, jetzt hat sich das Lokal in ein Filmset verwandelt: Der Filmemacher Simon Ramseier und sein Team drehen im düsteren Interieur ein Musikvideo für die Luzerner Popgruppe Rival Kings. Gelüftet hat an diesem Sonntagnachmittag niemand; der Mief aus Bier, Rauch und Schweiss, der noch immer in der Luft liegt, passt zum Ambiente des Clips. Einzig Nebelschwaden aus Trockeneis sind dazugekommen.

Gerade sind Partyszenen geplant. «Bitte alle auf ihre Position!», ruft Ramseier. Eine Gruppe von jungen Statisten steht in der Mitte des Raumes. «Den Song bitte! Und gebt euch rein!» Laut erklingt die Musik, und wie auf Knopfdruck verwandelt sich die Truppe in einen ausgelassenen, tanzenden Pulk. Ein Helfer schwenkt das Flutlicht, während Ramseier die Kamera anweist, ins Gemenge zu fahren. Schnitt. «Wir machen noch einen Take», sagt Ramseier. «Gibt es zwei, die sich gerne küssen würden?» Wild soll es zu- und hergehen, der Szenenwechsel folgt kurz darauf. «Ihr seid bewusstlos», weist Ramseier die Statisten an. Anstandslos legen sich alle auf den klebrigen Boden zwischen umgekippte Stühle und leere Flaschen.

Während insgesamt zwei Tagen drehen Ramseier und sein Team an zwei verschiedenen Orten. Heraus kommt am Ende ein vielleicht dreiminütiger Clip. Ein beträchtlicher Aufwand für alle Beteiligten. Lohnt sich das? Etienne Hilfiker, Sänger der Rival Kings, betont vor allem den Nutzen des fertigen Produkts. «Ein Video ist eine Möglichkeit, um schnell sehr viele Leute zu erreichen», sagt er in einer Drehpause. «Wenn es gut ist, kann es zum Selbstläufer werden. Etwas, was man mit einem Song alleine kaum schafft.»

Dabei spielt auch der optische Auftritt einer Band eine Rolle. «Es geht darum, sich als Künstler übers Bild zu präsentieren», sagt der Baselbieter Mundart-Popsänger Baschi. Die Idee für ein Video entsteht nicht selten im Austausch mit den Filmschaffenden. Deshalb ist auch ein eingespieltes Team viel wert. «Leute an Bord zu holen, die mit Passion dabei sind und auch mal Überstunden machen, ist das Wichtigste bei einer Videoproduktion», sagt Baschi. «Darauf bin ich als Künstler angewiesen.»

Ist ein Clip produziert, gilt es, ihn an die Leute zu bringen. Viele Musiklabels stellen fertige Videos einfach ins Netz, verschicken dazu einen Newsletter oder machen per Social Media darauf aufmerksam. Die Berner Indieband Silver Firs testet eine zusätzliche Strategie: Seit amerikanische Blogs und Radiostationen auf sie aufmerksam geworden sind, versuchen sie jeweils, eine Premiere zu organisieren: «Wir bieten verschiedenen Musikblogs oder Onlinemagazinen an, unser Video als erstes während ein bis zwei Tagen nur auf ihrer Seite zeigen zu können», sagt Gitarrist und Sänger Raphael Elmiger. So feierte der letzte Clip der Silver Firs seine Premiere auf der Website des «Flood-Magazine» aus Los Angeles.

In der Schweiz sind Medienpartnerschaften möglich, wie sie Baschi häufig eingeht. Mit diesen sichert sich ein Onlinemedium wie beispielsweise «20min.ch» das Recht, einen Clip als Erstes zu zeigen. Um eine grösstmögliche Reichweite zu erzielen, sind für diese Portale vor allem Künstler mit einer kommerziellen Ausrichtung und einem gewissen Bekanntheitsgrad beim breiten Publikum im Vorteil.

Online-Medien können zwar die Verbreitung eines Clips beschleunigen. Um aber möglichst viele Leute zu erreichen, muss ein Video «viral gehen», das heisst über die Sozialen Medien intensiv mit «Likes» versehen, geteilt und kommentiert werden. Erst dann wird es zum Selbstläufer.

"Ein gutes Video kann man auch mit dem Handy machen. Wichtig ist, dass es mich überrascht und Emotionen auslöst."

«Es geht nur um die Idee», ist Baschi überzeugt. «Ein gutes Video kann man auch mit dem Handy machen. Wichtig ist, dass es mich überrascht und Emotionen auslöst. Es muss neben der Musik auf einer zusätzlichen Ebene für Gesprächsstoff sorgen. Dann funktionierts.» Gelungen ist dies für Elmiger der Zürcher Indiepopgruppe Rio Wolta mit ihrem Clip zum Song «Through My Street», der 2016 von einer Fachjury zum «Best Swiss Video Clip» erkoren wurde – eine Ausschreibung, die die Urheberrechtsgesellschaft Suisa, die Solothurner Filmtage, der Jugendfernsehsender Joiz und das Festival m4music jährlich gemeinsam lancieren. Zu sehen sind im Video zwei Bagger, die ihre Schaufelarme synchron bewegen, so dass eine überraschend poetische Choreografie entsteht. «Das Lied ist eher unauffällig, aber das Video könnte international locker mithalten», sagt Elmiger. Für die Nomination hat die Band bereits zweitausend Franken erhalten. Der Jury- und der Publikumspreis des Wettbewerbs sind mit je fünftausend Franken dotiert.

Vorerst aber bringt ein Clip so gut wie nichts ein – egal auf welcher Onlineplattform man ihn hochlädt. Wie viel oder besser: wie wenig es genau ist, ist etwa im Fall von Youtube schwierig zu sagen. Das hat damit zu tun, dass sich Youtube-Partner, also alle Betreiber eines Youtube-Kanals, die damit Geld verdienen, zum Stillschweigen über ihre Einkünfte verpflichtet haben. Will man Youtube-Partner werden, muss man seine Videos «monetarisieren», wie es in den Kontoeinstellungen heisst.

Diese Funktion steht seit 2013 jedem Benutzer in der Schweiz offen: Man lässt bei mindestens einem seiner Videos Werbeanzeigen zu und wird dafür an den Einnahmen der verkauften Werbeplätze beteiligt. Werbungen auf Youtube können beispielsweise aus Bannern (Overlay-In-Video-Anzeigen) bestehen, die beim Abspielen des Videos erscheinen, oder aus Reklamefilmchen zu Beginn des Videos (Trueview-In-Stream-Anzeigen oder Pre-Rolls), die sich teilweise überspringen lassen. Auch Product-Placements sind möglich.

Wie Youtube die Gewinnbeteiligung seiner Partner genau berechnet, ist nicht transparent. Da einzelne Urheber von viralen Videos ihre angeblichen Verdienste trotz Schweigepflicht publik gemacht haben, lässt sich veranschlagen, dass ein monetarisiertes Video pro tausend Klicks vermutlich ungefähr dreissig Rappen einbringt (0.0003 Schweizer Franken pro Klick). Das eingenommene Geld landet auf einem Google Ad-Sense-Account und wird ab einem Betrag von hundert Franken ausbezahlt.

Wer sich dagegen entscheidet, sein Musikvideo zu monetarisieren, könnte immerhin von der Suisa einen kleinen Betrag erhalten – vorausgesetzt natürlich, sein Musikstück ist in deren Werkdatenbank registriert. 2013 haben sich Youtube und die Suisa auf einen Vertrag geeinigt; ein Jahr später hat die Suisa erstmals Zahlen veröffentlicht: Rund dreihunderttausend Franken habe sie während fünfzehn Monaten an Rechteinhaber von Musikvideos ausgeschüttet. Durchschnittlich betrage der Verteilungsbetrag für die abgerechnete Periode 0.0008 Franken pro Klick.

Allerdings variiert diese Zahl je nach Video. Da nur monetarisierte Musikvideos Einnahmen abwerfen, erhalten deren Urheber von der Suisa einen höheren Betrag pro Klick als Clips ohne Werbeanzeigen. Die Kooperation mit Youtube läuft so ab: Youtube überweist der Suisa aufgrund sämtlicher Nutzungsmeldungen, die Informationen über Klickzahlen und Einnahmen enthalten, einen Gesamtbetrag. Als dessen Berechnungsbasis dienen die Werbeeinkünfte, die alle bei der Suisa registrierten Werke auf Youtube erzielt haben. Nun verteilt die Suisa den einzelnen Urhebern Vergütungen abhängig von den Nutzungsmeldungen aus.

Selbst wer Werbung in seinem Video zulässt, muss sechsstellige Klickzahlen erreichen, um wenige Hundert ­Franken zu verdienen.

Unter dem Strich heisst das also: Selbst wer Werbung vor, nach oder in seinem Video zulässt, muss auf Klickzahlen im sechsstelligen Bereich kommen, um wenige Hundert Franken zu verdienen. Baschis Clip zum Song «Hashtag» beispielsweise, der mit dem «Best Swiss Video Clip»-Publikumspreis ausgezeichnet wurde, ist monetarisiert, steht seit über einem Jahr im Netz und hatte bis Juni 2016 rund achtzigtausend Klicks. Über den Daumen gepeilt macht das etwa sechzig Franken, die die Suisa wiederum an die verschiedenen Rechteinhaber des Videos verteilt.

Ein Bruchteil davon also, was Plattenlabels oder Musikschaffende selbst für einen Clip ausgeben. Diese Zahl bewegt sich meistens im fünfstelligen Bereich, alles darunter gilt als Low Budget. Woher also das Geld nehmen, wenn man kein zahlungskräftiges Majorlabel im Rücken hat? «Wir haben von der Videoclip-Förderstelle von Migros-Kulturprozent einen Betrag bekommen und dann noch eingenommene Suisa-Gelder draufgelegt», sagt Elmiger. Damit waren zumindest die Spesen für das engagierte Kamerateam gedeckt. «Das Problem ist, dass wir das Geld nicht haben, um einen Clip genau nach unseren Vorstellungen in Auftrag zu geben.»

Eine Situation, die viele Bands kennen. Ein Musikvideo basiert für sie meistens auf einem Kompromiss: Die Filmschaffenden bekommen wenig bis keinen Lohn, dafür aber gewisse künstlerische Freiheiten. «Man ist immer auf den Goodwill von anderen angewiesen und kann nur hoffen, dass sie auch ohne gute Bezahlung hundert Prozent geben», sagt die Zürcher Sängerin und Rockmusikerin Evelinn Trouble.

Doch das Geld alleine ist nicht das Problem. Es sei ja nicht garantiert, dass qualitativ bessere Videos herauskommen, wenn man mehr Geld hineinstecke, gibt Hilfiker zu bedenken. «Was hingegen fehlt, sind Plattformen für Videos», sagt Elmiger. «Wo laufen denn heute noch Clips im Fernsehen, seit es keine richtigen Musiksender mehr gibt? Vielleicht nachts in der SRF-Sendung Roboclip. Es bräuchte ein Format zu vernünftiger Sendezeit.» Ein medialer Rahmen, der das Schweizer Popschaffen in seiner Vielfalt widerspiegelt, vermisst auch Evelinn Trouble. «Ich  fühle mich von den Schweizer Tagesmedien zensuriert.»

Seit Clips nicht mehr in Endlosschlaufen im Fernsehen laufen, sind seitens der Musikschaffenden Ideen gefragt, um im immensen Onlineangebot herauszustechen. Ausgaben für eine Videoproduktion lohnen sich nach heutigem Empfinden dann, wenn sie sich hinterher in Klickzahlen auszahlen. Die Währung heisst also Aufmerksamkeit. Und nicht zuletzt kann ein viel beachteter Clip für eine Schweizer Band ein wirksames Instrument zur Promotion sein und im besten Fall etwa Konzertanfragen aus dem Ausland nach sich ziehen.

Gleichzeitig besteht natürlich das Risiko, mit einem teuer produzierten Video nicht das erhoffte Echo beim Publikum auszulösen. Verschwendet ist das Geld aber trotzdem selten. Denn neben allen ökonomischen Berechnungen hat der Videoclip für viele Musikschaffende noch immer einen persönlichen Wert. «Mir gefällt der Gedanke, Musik mit Bildern auszudrücken», sagt Baschi. So viel Arbeit ein Video auch macht im Verhältnis zu seiner kurzen Abspieldauer – es ist eine Investition in die Zukunft. «Ein Videoclip ist ein Gesamtkunstwerk», sagt Elmiger. «Und dadurch auch ein Zeitdokument. Eine Momentaufnahme, die bleibt.»

Via Berlin

«Man muss Tag und Nacht dran sein!»

Die Bands Bonaparte und Oy haben beide Schweizer Wurzeln, operieren aus Berlin und agieren international. Beide Gruppen fallen durch eigenwilliges Songwriting auf, aber auch durch intensive, fast theatralische Liveshows. Joy Frempong, Marcel Blatti und Tobias Jundt im Gespräch mit Dominik Landwehr und Philipp Schnyder von Wartensee.

Joy Frempong (*1978) und Marcel Blatti (*1975) aka Lleluja-Ha sind zusammen das Elektromusikduo Oy. Ihre Musik setzt auf Samples und Loops, Schlagzeug und Stimme. Joy Frempong war 2015 für den Schweizer Musikpreis nominiert. Marcel Blatti kennt man auch als Sänger und Songwriter von Sun Of Moon oder Pola sowie als Film- und Theaterkomponist. Sie leben in Berlin.

Tobias Jundt (*1978) ist unter dem Künstlernamen Bonaparte bekannt geworden. Er sieht sich selber als Songwriter, ist aber auch als Ghostwriter und Produzent unterwegs. Tobias Jundt war 2016 für den Schweizer Musikpreis nominiert. Auch er lebt in Berlin.

Wir führen unser Interview über Skype. Die drei Gäste sind nämlich alle in Berlin, die Fragen kommen aus Zürich. Ist das ein Zufall, dass ihr alle in Berlin lebt und nicht in Zürich, Paris oder London?

Marcel Blatti:
Von der Kultur her gesehen stehen mir Paris und London eigentlich näher, aber Berlin hat eine sehr wohltuende Gelassenheit und bleibt dabei inspirierend. Diese Stadt ist wirklich noch offen für Neues, bietet befreiend viele Möglichkeiten, und man trifft sehr leicht Leute aus der halben Welt. Zudem arbeite ich auch als Komponist für Film und Theater, und da hat Berlin natürlich auch einiges zu bieten.

Joy Frempong: Berlin hebt sich mit seiner speziellen geschichtlichen Vergangenheit von anderen westeuropäischen Metropolen ab. Man spürt immer noch ein bisschen den Osten und merkt, dass die Stadt andere Einflüsse kennt als nur den Kapitalismus. Berlin ist somit eine Ausnahmeerscheinung – trotz Grossstadtlebens herrscht auch eine sehr entspannte Atmosphäre. Idealisten sind nicht nur geduldet, sondern Teil des Selbstverständnisses von Berlin.

Tobias Jundt: Ich wollte nie hierher und bin fast zufällig hier gelandet. Dann habe ich aber gemerkt, dass es hier Freiräume gibt und dass das Leben viel weniger stressig ist als in Paris oder London. Die Stadt hat eine hohe Lebensqualität. Die Sprache mag helfen, aber Berlin hat eine eigene Kultur, und die ist gar nicht so einfach zu verstehen. Wir leben hier irgendwie nicht in Deutschland, sondern in einer Art Blase als Expats, in einem künstlerischen Exil. In meiner Band sind selten Deutsche, aber Musiker aus Australien oder von sonstwo.

Berlin hat mit seiner Agglomeration annähernd so viel Einwohner wie die ­Deutschschweiz.

Berlin hat mit seiner Agglomeration annähernd so viel Einwohner wie die Deutschschweiz. Das ist auch ein Potenzial. Ist die Stadt nur operative Basis für euch, oder tretet ihr da auch auf und nutzt dieses Potenzial?

Joy: Berlin ist für mich vor allem Homebase. Man kann atmen in dieser Stadt, gut ein paar Monate verschwinden und wieder andocken, wo man aufgehört hat. Es ist für uns wichtig, überall zu spielen, und somit spielen wir auch hier. Aber darüber hinaus hat die Stadt für unsere Musik keine extreme Bedeutung. Wir haben nicht den Anspruch, eine Berliner Band zu sein.

Tobias: Bei mir ist das phasenabhängig. Wenn ich an etwas Neuem bin, ist es nützlich, schnelle Feedbacks holen zu können. Für Bonaparte war es in den ersten drei Jahren extrem wichtig, und ich habe versucht, jeden Tag zu spielen. Heute ist das anders, und ich spiele nur noch ein- oder zweimal im Jahr hier. Aber heute arbeite ich an meinen Projekten und gehe nicht unter die Leute, die sich hier am Wochenende sammeln und Party machen wollen.

Stichwort Party: Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll –, das ist für Euch auch nicht mehr so ein Thema? Die Arbeit geht vor?

Tobias: Wenn man in eine neue Stadt geht, ist es toll, ein Nobody zu sein und alle Möglichkeiten zu haben. Für mich ist der Exzess schon wichtig, das merkt man ja in der Musik. Aber das geht nicht 25 Stunden am Tag. Ich weiss, dass ich das kann. Aber heute ist das nicht mehr so wichtig. Die musikalischen Ideen, die Gemeinschaft und die Familie sind mir heute wichtiger als Rock ’n’ Roll  …

Marcel: Wir sind beide Leute, die gerne Gas geben. Aber im Vordergrund stehen die Musik und die Bühne. Und die intensivsten Momente bleiben die Konzerte – vielleicht noch das Vor- und Nachher.

Tobias: Auf Tour zu sein ist sowieso ein absurder Zustand: Jeden Tag ist man an einem anderen Ort. Das ist extrem anstrengend. Da ist man in dieser Rock ’n’ Roll-Bubble.

Joy: Es gibt diesen Spirit des Rock ’n’ Roll. Es hat mit Dreck zu tun, sich gehen lassen, ausbrechen. Es ist also auch ein übertragbarer Begriff.

Popmusik ist heute extrem schnelllebig. Was gestern gut war, ist heute vorbei. Gleichzeitig braucht eine Band eine eindeutige, fast starre Identität, damit sie von den Musikfans verstanden wird. Diese Identität ist oft eine Vereinfachung dessen, was man als Künstlerperson ausdrücken möchte. Wie geht ihr damit um, dass ihr einerseits eine Identität etablieren müsst, gleichzeitig aber auch dem Druck des Neuen unterworfen seid?

Tobias: Die Welt verändert sich, die Musik, aber auch meine Interessen bleiben nicht dieselben. Soll ich mit sechzig immer noch so aussehen wie heute? Wie Kiss mit viel Schminke? Veränderungsprozesse sind wichtig und führen ja auch oft dazu, dass sich Bands auflösen. Ich will mich verändern können: Wenn mir Streicher wichtig sind, dann arbeite ich mit Streichern. Aber ich kann nicht zehn Jahre dasselbe machen. Und wenn ich mit Trompeten und Posaunen arbeiten will, dann mache ich das. Das tönt komisch, aber ich mach das gerade.

Joy: Wir haben mit Oy musikalisch und narrativ eine erkennbare Linie, die viel Spielraum für Experimente und Stilrichtungen zulässt. Ich wünsche mir eigentlich, den Rahmen so stecken zu können, dass die Fans wissen, dass mit Überraschungen zu rechnen ist. Abgesehen davon muss man sich unabhängig von Stil mit jedem Album wieder neu behaupten.

Alle Schweizer Musiker, die sich weiterentwickeln wollen, müssen über die Schweiz hinaus. Deutschland ist eines der wichtigsten Ziele für Schweizer Bands. Ist es ein Vorteil, wenn man schon in Deutschland ist?

Joy: Für mich war es von Anfang an wichtig, ausserhalb der Schweiz spielen zu können. Wir machen eine urbane Musik; die wenigen Schweizer Clubs, die sich dafür anbieten, kann man nicht ständig im Kreis bespielen. Frankreich war für uns von Anfang an sehr wichtig, unsere Bookingagentur sitzt in Marseille. Unser Netzwerk ist global, und wir kommen immer wieder an die erstaunlichsten Ecken der Welt. So sind wir plötzlich in Brasilien eingeladen und können da zu tollen Bedingungen auftreten.

Das ist doch erstaunlich! Welche Rolle spielen die aussereuropäischen Länder?

Marcel: Es sind bereichernde Erfahrungen und wertvolle, oft überraschende Netzwerke. Wir konnten zum Beispiel in Sansibar spielen, weil uns ein Booker zuvor in Swasiland gesehen hatte. Dort wiederum entdeckte uns ein spanisches Team, und wir durften in der Folge eine tolle Festivaltour in Spanien spielen. Kürzlich waren wir in Marokko und erreichten damit auch Medienpräsenz in Frankreich und England. Mit den USA wiederum ist es viel schwieriger. Das ist ja ein grosses Politikum, aber unser Label in Brüssel, welches schon sehr lange international arbeitet, findet es klug, dass wir unsere Musik auch dort präsentieren.

Tobias: Amerika ist eine Kultur, die wir alle glauben zu verstehen, aber wir verstehen sie überhaupt nicht.

Ihr seid global tätige Künstler. Wie oft seid ihr ausserhalb von Europa?

Joy: Wir spielen mehr in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien. Aber die aussereuropäischen Länder sind eine riesige Bereicherung des Touralltags und prägen einen wohl am Ende mehr.

Tobias: Für mich ist Deutschland im Moment das wichtigste Land. Aber als Künstler ist jede Tour wichtig, jedes neue Land ist interessant. Ich fand es extrem aufregend, in China spielen zu können. Es ist auch interessant zu sehen, dass die alten Kolonialbeziehungen heute noch eine Rolle spielen. Nach einem Konzert in Frankreich hatte ich eine Einladung nach Madagaskar. In China sah mich jemand vom Glastonbury Festival. Es ist gerade im digitalen Zeitalter wichtig, richtige Beziehungen zu Menschen aufbauen zu können und nicht nur via Skype oder E-Mail zu kommunizieren. Immer wenn man irgendwohin geht, trifft man neue Leute, und dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten und neue Türen gehen auf.

Marcel: Für Schweizer Musiker ist es extrem wichtig, ins Ausland zu gehen. Gar nicht primär wegen der Musik, sondern wegen der Stimmung und der Inspiration. Man sollte die Enge des Landes verlassen. Ich hatte immer das Ziel, so gut zu werden als Musiker, dass ich damit reisen kann.

Als Schweizer hat man mehr zu verlieren als zu gewinnen. Dadurch mangelt es eher an Biss und langem Atem.

Tobias: Man muss nicht im Ausland leben. Es gibt in der Schweiz wahnsinnig viele gute Musiker, und es tut fast weh zu sehen, dass sie nur im Umkreis von zwanzig Kilometern spielen. Die Schweizer sind manchmal etwas bequem.

Man hört etwas wenig von diesen tollen Musikern. Warum ist da so?

Tobias: Die Schweiz ist sehr eigen, auch als Kultur. Und im Allgemeinen haben die Schweiz und die Schweizer viel mehr zu verlieren als zu gewinnen. Dadurch wird man eher auf Verteidigung als auf Angriff getrimmt. Es mangelt dem Schweizer Musiker im internationalen Vergleich aber weniger an Qualität, es ist eher eine Frage des Bissvermögens und des langen Atems.

Marcel: Aber die Dinge ändern sich schon auch. Heute ist es viel normaler als vor fünfzehn Jahren, dass man im Ausland einen Plattenvertrag bekommt.

Warum ist das so?

Joy: Die Welt hat sich verändert. Das Internet hat uns näher gebracht. Wir reisen alle viel mehr. Die Hemmschwellen sind kleiner geworden.

Marcel: Die Kulturförderung in der Schweiz hat auch viel dazu beigetragen. Es gibt Länder, die Kultur und Nischen fördern, und man merkt das auch, die Kultur wird dadurch viel reicher. Die Schweiz macht das schon auf vorbildliche Art und Weise. Die Kultur wird ja immer unterschätzt, und wenn man sparen will, wird oft zuerst bei der Kultur und der Bildung gespart, was grundfalsch ist.

Tobias: Die Schweiz ist sehr privilegiert. Das merkt man stark in den Ländern, wo es viel weniger Förderung gibt. Die Exportbüros, die Auslandsaufenthalte der Kulturkommissionen aller grossen Schweizer Städte, der Schweizer Musikpreis des Bundesamtes für Kultur, Pro Helvetia und natürlich auch das Migros-Kulturprozent. Letzteres hat ein Förderungskonzept, welches jede grössere Firma umsetzen könnte. Defizitgarantien bergen aber auch eine Gefahr, denn sein letztes Hemd für etwas aufzugeben und alles auf eine Karte zu setzen, generiert eben auch eine Energie, die das Publikum spürt. Kunst hat nach wie vor viel mit persönlichem Wahnsinn und existenziellen Abgründen zu tun. Zuviel Sicherheit kann hemmende Wirkung haben.

Könntet ihr eure Musik auch ohne Förderung machen?

Tobias: Musik sowieso! Haben wir jahrelang gemacht, aber gewisse Tourneen in wirtschaftlich schwachen Regionen wären dann nur in sehr abgespeckter Form möglich: mit weniger Musikern auftreten und wie früher wieder öfter im «Hotel Küchenboden» übernachten. Wichtig ist aber, es trotzdem zu tun. Im schlimmsten Fall halt solo.

Joy: Auftritte im Ausland sind immer mit Reisen verbunden. Wenn wir spielen, reisen Band und Techniker aus drei verschiedenen Ländern an. Unterstützung bei den Reisekosten ist deshalb eine riesige Hilfe.

Tobias: Dadurch hat man die Chance, die eigenen Musiker und die eigene Crew mitzunehmen, und das gibt einfach ein besseres Resultat am Schluss.

Die Popwelt ist immer noch sehr männerdominiert, in der Schweiz und im Ausland.

Joy: Das Thema hat mich früher sehr beschäftigt, aber auf Tour fällt mir die Geschlechterungleichheit vor lauter Gewohnheit nur auf, wenn wieder mal eine Frau an einer ungewöhnlichen Position steht. Manchmal denke ich, dass das, was ich mache, begünstigt wurde durch die Tatsache, dass ich ein bisschen ein «Tomboy» war. Man müsste früh ansetzen und den Mädchen Räume geben, um sich mit Rockmusik oder -technik auseinanderzusetzen, die befreit sind von Jungs und deren Tendenz, beim Pubertieren angeberisch oder cool sein zu wollen. Oder man müsste sich einfach mehr Raum nehmen. Der Teufelskreis der fehlenden Vorbilder, die zu fehlendem Nachwuchs führen, wird nur langsam durchbrochen, aber es freut mich, dass immer mehr Frauen ganz selbstverständlich ihr Ding durchziehen und Bandleaderinnen sind.

Marcel: Ich wollte für Sun of Moon unbedingt eine Drummerin dabeihaben, weil ich auf das Standardgezocke der Jungs keinen Bock hatte, konnte aber selbst in Berlin niemanden finden. Echt schade. Mit Joy und Sophia waren wir dann immerhin zwei Fünftel Girlpower.

Tobias: Ich versuche immer, möglichst viele Frauen im Team zu haben. Es ist für den Umgang untereinander und auch den Kontakt zur Lokalbevölkerung besser als eine reine Männergruppe. Ich glaube, es gibt auch biologische Gründe, weil man nur mit viel Aufwand mit Kleinkindern auf Tournee gehen kann. Es hat etwas so Hirnverbranntes, jeden Tag in einer neuen Stadt seine Zelte aufzubauen und in verkotzten Backstageräumen herumzusitzen. Männer sind eher bereit, etwas derart Doofes mitzumachen, nur, um dann neunzig Minuten vor hundert fremden Menschen musizierend ins Nirwana der Glückseligkeit einzutauchen.

Joy: Das Problem geht aber viel früher los, bevor Kinder ins Spiel kommen – wenns mehr Künstlerinnen wie Feist gäbe, würden auch mehr Mädchen Lust haben, an einer E-Gitarre rumzuhantieren.

Was habt ihr für einen Rat an junge Musikerinnen und Musiker?

Marcel: Macht etwas ganz Persönliches, habt den Mut, zu dem zu stehen, was herauskommt, egal, ob es total abgefahren oder schnulzig ist.

Tobias: Es ist egal, ob es das schon gibt. Es muss ehrlich sein und einfach von innen kommen. Das ist nicht einfach im Zeitalter der Facebook-Kommentare.

Joy: Man muss auf die Suche gehen nach dem, was einen ausmacht – auch wenn man sich dabei öfter mal eine Blösse gibt. Und den Mut haben, zu experimentieren, sich zu fragen: Was will ich, wer bin ich? Ausserdem gehört es dazu, zu träumen, sich aber auch selbstkritisch mit seinen Idealen zu vergleichen, nicht mit der Hobbyband von nebenan.

Marcel: Und man muss immer wieder über den eigenen Schatten springen. Dazu gehören auch kleine Schritte. Von Anfang an in den Olymp springen, ohne gleich wieder abzurutschen, klappt selten – habt Geduld.

Tobias: Da sind wir wieder beim Rock ’n’ Roll. Man muss Tag und Nacht dran sein.

Live Is Life

Das Konzertland Schweiz

Von Renzo Welinger

Die Livebranche ist das Rückgrat des Poplands Schweiz und hält die Szene lebendig. Doch der Markt ist gesättigt, die Gagen und Produktionskosten steigen und das Publikum wird immer anspruchsvoller. Wie gelingt es da, aus der Masse hervorzustechen? Die Rezepte sind unterschiedlich.

Schwelgen zu den eigenwilligen Sounds von Radiohead, abgehen zu den Böllerbeats von Kygo oder lässig zu den geschmeidigen Grooves von Quincy Jones mitwippen: Im Sommer 2016 hatten Musikfans einmal mehr die Qual der Wahl. Denn das Angebot der Schweizer Festivalszene ist vielseitig – jeder kommt auf seine Kosten.

Während sich die Konsumenten freuen, dass sie aus einem abwechslungsreichen Programm ihre persönlichen Highlights herauspicken können, stehen die Veranstalter vor einem Problem: Der Markt ist übersättigt. Die Schweiz hat eine enorme Veranstaltungsdichte, eine der höchsten Europas. Ein kleines Land mit unzähligen Events. Vom intimen Open Air vor atemberaubender Bergkulisse bis zum Riesenarenaspektakel mit Headlinern. Der Konkurrenzdruck ist enorm. Auch von ausserhalb: In ganz Europa ist ein regelrechter Festivalboom ausgebrochen. Je mehr Events auf den ohnehin gesättigten Markt drängen, desto schwieriger wird es für etablierte Veranstalter, aus der Masse hervorzustechen. So müssen sich die Verantwortlichen einiges einfallen lassen, um möglichst viele Besucher anzulocken. «Ohne stringentes Konzept und eine klare Ausrichtung ist es fast unmöglich, einen neuen erfolgreichen Event zu lancieren», weiss Stefan Wyss von der Zürcher Agentur Gadget. Booker buhlen um die bekanntesten Bands. Jeder sucht sich seine Nische.

Doch auch jenseits des Liveprogramms will das Publikum unterhalten werden. Denn Kopfnicken und Headbangen machen müde – und hungrig. Neben dem Line-up spielen das Food- und Getränkeangebot, die Übernachtungsmöglichkeiten sowie das Ambiente eine zentrale Rolle. Auch aufwendige Dekorationen sind nicht gratis. «Die vielen bunten Lämpchen kosten Geld», betont Christof Huber, Festivalleiter des Open Air St. Gallen. Das traditionsreiche Festival war 2016 zum sechsten Mal in Folge ausverkauft. Es wird jedoch immer schwieriger, kostendeckend zu arbeiten, auch bei einem ausverkauften Festival.

Die Kosten steigen – genau wie die Anforderungen gegenüber einer Stadt oder einer Gemeinde, um überhaupt eine Bewilligung zu erhalten. Hinzu kommen verschärfte Sicherheits- und Umweltauflagen. «Ausserdem erwartet natürlich auch das Publikum mehr, etwa was die Infrastruktur anbelangt», meint Huber. «Ein Festival ohne Duschen ist heute kaum noch vorstellbar.»

Beim Zürcher Festival Live at Sunset beliefen sich 2015 allein die Infrastrukturkosten auf zwei Millionen Franken. «Doch sobald wir diesen Aufwand um mehr als ein paar Prozentpunkte reduzieren, büssen wir an Qualität ein. Das wollen wir nicht», stellt Veranstalter Hanswalter Huggler in einem Interview mit dem Branchenmagazin «musikmarkt» klar. Das Live at Sunset, das in den letzten zwanzig Jahren mit Stars wie Patti Smith, Lou Reed und Elton John rund eine halbe Million Besucher begeisterte, legte 2016 erstmals eine Pause ein. Zukunft ungewiss.

Auch weniger bekannte Indiebands kosten heute deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren.

Als Hauptgrund für die Absage nennt Huggler die «übertriebenen Gagenforderungen» vieler Künstler. Nicht nur Top Acts, auch weniger bekannte Indiebands kosten heute deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren. Die Übersättigung des Marktes treibt die Gagenforderungen potenzieller Festivalheadliner in die Höhe.

Durch die Gagen für Liveauftritte wollen die Künstler die seit 2000 stetig zurückgehenden Umsätze aus dem klassischen Tonträgergeschäft kompensieren. Das Livebusiness gilt mittlerweile als Rückgrat der kompletten Musikbranche, weil der Tonträgerzweig rückläufig ist und der digitale Hoffnungsträger Streaming derzeit noch zu wenig abwirft.

Immer mehr Bands konzentrieren sich auf ihre Liveaktivitäten, sind häufiger unterwegs. «Der Stellenwert des Livesektors hat innerhalb der letzten Dekade massiv zugenommen», unterstreicht Christoph Bill, Präsident des Liveverbands der Swiss Music Promoters Association (SMPA). Während Bands früher Konzerte spielten, um ihr aktuelles Album, mit dem sie Geld verdienten, einem möglichst breiten Publikum vorzustellen, läuft es mittlerweile umgekehrt: «Heute wird eine CD produziert, um mit neuem Material Konzerte geben zu können», so Bill. Christof Huber ergänzt: «Ein Konzert dient heute nicht mehr als Promotool, um ein Album zu verkaufen, sondern ist für Musiker längst die Haupteinnahmequelle.»

Das schwächelnde CD-Geschäft ist aber nicht der einzige Grund für die hohen Gagen. Das Ansteigen der Preise richtet sich auch schlicht nach Angebot und Nachfrage. Immer mehr Events weltweit, insbesondere in den neuen Märkten in Osteuropa oder in Asien, buhlen in Zeiten einer durch Social Media enger zusammenrückenden Welt um die gleichen Acts. Es gibt also immer mehr Festivals – aber nicht mehr Bands und Künstler, die als zugkräftige Hauptacts infrage kommen.

Viele Veranstalter klagen über einen Headlinermangel. «Es wachsen immer weniger Acts zu grossen Headlinern heran», findet Olivier  Joye von Gadget. «Während Musikliebhaber vor zehn oder zwanzig Jahren oft jahrzehntelang Fans einer bestimmten Band waren, stehen die Kids heute eher auf einzelne Songs – und zwar lediglich für einige Wochen.» Dank Twitter, Facebook und Co. können Stars zwar rasend schnell eine globale Anhängerschaft erreichen. Es ist jedoch auch schwieriger geworden, aus der Masse hervorzustechen. Die Aufmerksamkeitsspanne der Konsumenten verkleinert sich. «Acts steigen kometenhaft auf und tauchen oft rasch in der Versenkung unter. Ganz grosse Headliner, die über etliche Jahre Bestand haben, gibt es nicht mehr allzu viele», so Bill.

Christof Huber winkt ab. «Ich sehe das nicht so dramatisch. Acts wie Muse, Coldplay und Radiohead sind Bands der Neunziger. Sie sind im Vergleich etwa zu den Rolling Stones noch relativ jung, müssen sich erst etablieren, bevor sie in die Liga der legendären Bands aufsteigen. Einige werden das schaffen, andere drücken die Zitronen womöglich zu schnell aus. Diese Tendenz macht mir grössere Sorgen.» Viele Bands seien omnipräsent, würden verheizt, gibt der Branchenkenner zu bedenken. Irgendwann werde es für den Konsumenten aber langweilig, wenn ein Künstler fast jedes Jahr live zu sehen ist.

Schweizer Nachwuchskünstler haben es angesichts der starken internationalen Konkurrenz schwer. Die Anzahl an hiesigen Top Acts hat in der letzten Dekade nicht zugenommen. Lokalmatadoren wie Bligg, Stress oder Patent Ochsner dominieren seit Jahren die Festivalbillings. «Dafür gibt es auf den folgenden Stufen deutlich mehr Bands», findet Christoph Bill. «Und deren Innovation und Qualität sind ein Versprechen für die Zukunft.» Bei Indoor-Events, also etwa in Clubs, wurden nach SMPA-Angaben laufend mehr Schweizer Künstler gebucht, bei Outdoorveranstaltungen wurden sie zu einem wichtigen Bestandteil des Gesamtprogramms.

"Kantigere Schweizer Künstler haben hierzulande kaum eine Chance und gehen deshalb ins Ausland."

Allerdings haben es nichtkommerzielle, weniger radiotaugliche Bands schwer. «Kantigere Schweizer Künstler haben hierzulande kaum eine Chance und gehen deshalb ins Ausland», sagt Christof Huber. Er wünscht sich mehr Mut von Newcomern, sich fernab des Mundartpop- / Rock-Mainstreams zu positionieren. Die Livebranche kann ihren Teil dazu beitragen, ist Huber überzeugt.

Viele unbekanntere, weniger zugängliche Bands haben es geschafft, sich dank ihrer Livequalitäten eine Karriere aufzubauen und schliesslich in grossen Hallen und Festivals spielen. Huber bietet lokalen Jungtalenten bei seinen Events Auftrittsmöglichkeiten, «wenn die Qualität stimmt und sie Potenzial haben». Auf der anderen Seite fordert er von Schweizer Radiomachern, sich weniger am Mainstreamgeschmack zu orientieren und sich nicht auf sichere Hits zu verlassen.

Veranstalter investieren also jede Menge, um die Schweizer Musikszene lebendig zu halten. Die steigenden Kosten müssen natürlich wieder reingeholt werden. Und so ziehen, genau wie in anderen Märkten, die Ticketpreise an. «Die Schweizer Veranstalter sind jedoch bemüht, die Kartenpreise zu begrenzen, und gehen dafür auch grössere finanzielle Risiken ein», betont SMPA-Geschäftsführer Stefan Breitenmoser. Sollten sich die Gesetze in Sachen Sponsoring für Tabak- und Alkoholwaren ähnlich wie in Skandinavien verschärfen, steht die Schweizer Livebranche allerdings vor einem Problem. «Dann werden die Ticketpreise erneut ansteigen», meint Huber.

Doch der Kunde möchte fair behandelt werden – und das gilt auch für Clubgigs. Denn nicht nur die Festivallandschaft, auch die Clubszene steht vor grundlegenden Veränderungen. Durch die verlängerte Festivalsaison, die heute von Ende Mai bis weit in den frühen Herbst reicht, verschärft sich für Clubbetreiber der Wettbewerb. «Festivals sind die bestzahlenden Arbeitgeber. Sie würgen den Clubkonzertmarkt von Juni bis September komplett ab», sagt Jürg Burkhardt, Geschäftsleiter der X-TRA Production AG in Zürich. Auch grosse Konzerne, die von Sponsoren finanzierte Must-See-Events organisieren, stehlen kleineren Clubs die Show beziehungsweise die Zuschauer.

Aber die hiesige Clubszene bietet ein abwechslungsreiches Angebot, die Rote Fabrik in Zürich oder die Reithalle in Bern haben die nationale Alternativkultur nachhaltig geprägt. Besonders fernab der urbanen Zentren sind Kulturstätten wie die Werkstatt in Chur oder das KiFF in Aarau tragende Säulen der dortigen Subkultur. Doch viele kleinere Clubs kämpfen ums Überleben. Insbesondere wegen mangelnder Unterstützung seitens der Behörden sowie der Verschärfung bestimmter rechtlicher Rahmenbedingungen. Bereits vor zwanzig Jahren wurde deshalb PETZI gegründet, der Schweizer Dachverband der nicht gewinnorientierten Musikclubs. Heute zählt der Verein über achtzig Mitglieder in achtzehn Kantonen, die sich für die Entwicklung der aktuellen Clubszene einsetzen.

Die Schweiz ist im internationalen Vergleich ein kleiner Markt. Viele Bands lassen die Alpenrepublik auf ihren Tourneen aus und konzentrieren sich stattdessen auf die grösseren europäischen Märkte. «Es ist schwierig, internationale Bands auch nur für eine Show in der Schweiz zu bekommen», meint Christof Huber, «und diese findet dann in Zürich statt.»

Dass internationale Stars Schweizer Clubs auf ihren Tourneen auslassen, dürfte heimischen Bands in die Karten spielen. Aber hier besteht wiederum die Gefahr von Überpräsenz. Künstler, die nur den nationalen Markt bespielen, treten zwangsläufig oft auf. «Tendenziell wird es schwieriger für kleine und mittlere Acts, genug Livepublikum zu finden», meinen die beiden Booker Olivier Joye und Stefan Wyss. «Dies liegt sicher an der Dichte der Shows.» Und nationale Acts, die bereits vierzig Club-Gigs in der Schweiz gespielt haben, können bei den Festivals wiederum nicht als Co-Headliner positioniert werden. Es fehlt die Exklusivität. Das Publikum verliert das Interesse, langweilt sich.

Aber Liveauftritte sind für junge Bands unabdingbar. Gerade kleine Clubs spielen beim Aufbau junger Nachwuchskünstler eine wichtige Rolle. Sie bieten ihnen eine nicht mehr wegzudenkende Plattform für die künstlerische Entwicklung. Auf der Bühne zeigt sich der Wert eines Musikers. Er muss beweisen, dass er das Publikum verführen und einen bleibenden Eindruck hinterlassen kann. «Die Verbindung zu den Fans ist wichtig – egal ob bei einem Singer / Songwriter oder einem Electro-Act», weiss Christof Huber. Konzerte sind heute wichtiger als ein Plattenvertrag. Auf der Bühne kann Qualität nicht durch elektronischen Schnickschnack hergezaubert werden. Gerade in der durchdigitalisierten Welt spielt der direkte Kontakt eine wichtige Rolle.

Und wie sieht die Zukunft der Schweizer Branche aus? Während sich die Tonträgerindustrie mithilfe von Streamingdiensten aus der Misere befreien will, haben auch die Livemacher Streamingdienste wie Spotify für ihre Zwecke entdeckt. Denn Internetuser hinterlassen Spuren im Netz. Und zwar in Form von Daten. Diese detaillierten Nutzerinformationen werden für die Planung von Tourneen genutzt. Dank der Datenanalyse lässt sich beispielsweise bestimmen, welche Bands in welchen Regionen gern gehört werden. So erhalten Künstler und Manager Details über ihre Fanbase. Sie sehen, wo ein Grossteil ihrer Anhängerschaft lebt, wie alt sie sind und wie intensiv sie sich mit der Musik ihrer Lieblingskünstler auseinandersetzen.

Ticketingunternehmen stellen Veranstaltern demografische Daten über die Käufer zur Verfügung, und auch Facebook und Co. liefern nützliche Informationen über potenzielle Festival- und Konzertbesucher. So können Veranstalter künftig das Risiko kalkulieren und punktgenau agieren. Bookings können abgesichert werden. Das Potenzial digitaler Daten ist enorm. Insgesamt befinden sich diese Entwicklungen jedoch noch in Kinderschuhen. «Solche Daten werden noch sehr wenig genutzt», sagt SMPA-Präsident Bill.

Trotz der zahlreichen Probleme sind die Macher der Livebranche nach wie vor mit viel Leidenschaft dabei. Christof Huber zum Beispiel träumt von einem kleinen, feinen Singer/Songwriter-Festival. Wer weiss, vielleicht reisen dafür auch einige unterhaltungsverwöhnte Zürcher in die Ostschweiz?

Sophies Liebling hebt ab

Auf Tour mit Faber

Von Carole Gröflin

Es ist ein garstiger Tag im November 2015, als Faber in Stuttgart eintrifft. Der junge Singer/Songwriter ist als Support Act für Sophie Hunger gebucht. Die berühmte Schweizerin eröffnet dem jungen Sänger Chancen. Doch der Zürcher Musikhoffnung wird es nicht leicht gemacht. Die Geschichte eines Tourstopps.

«Hallo zusammen, ich bin nicht Sophie Hunger.» Ein junger Mann mit verstrubbeltem Haar und einer umgehängten Gitarre steht auf der Bühne. Es ist Faber, der Zürcher Musiker heizt an diesem Montagabend in Stuttgart dem Publikum für Sophie Hunger ein. «Wir waren heute schon viel zu früh für den Soundcheck hier, das ist etwas typisch Schweizerisches. Doch zu früh kommen ist definitiv die schlimmste Art von Pünktlichkeit», kokettiert Faber auf der Bühne, das Publikum schmunzelt. Dann legen er und sein Posaunist und Schlagzeuger Tillmann los.

Nachmittags ist Faber in Stuttgart eingetroffen, es ist ein garstiger Novembertag. Mit dem Zug direkt aus Berlin, wo er Freunde besuchen war. Am Bahnhof zündet er sich eine Zigarette an, den fürs Rauchen vorgesehenen Markierungen schenkt er keine Beachtung. Ein bisschen Rock ’n’ Roll muss eben sein.

Später, bei Kaffee und Zigarette, dreht sich das Gespräch natürlich um sein Lieblingsthema: die Musik. «Sophie Hunger traf ich am Stiller-Has-Konzert am Zürifest. Dort habe ich sie gefragt, ob ich ihr meine Lieder vorspielen darf», erinnert sich der 23-Jährige. Nach zwei Liedern war sie von seinem Talent überzeugt und hat ihn schon im Dezember 2013 als Support Act gebucht. Das Projekt Faber war geboren. Ein Traumstart, erst im Sommer zuvor hatte Faber seine Matura absolviert. Die Weichen für eine Musikkarriere waren also gestellt: «Ich habe keinen Plan B», sagt er.

«Ich will kein Stück vom Kuchen. Ich will die ganze Bäckerei», singt Faber auf der Bühne der Konzerthalle Im Wizemann. Rund 1300 Personen passen dort hinein, allmählich füllt sich die Halle. «Genug» heisst der Song, das Publikum in den ersten Reihen lauscht seiner kratzigen Stimme, weiter hinten wird munter weitergeplappert. Ja, dem Schweizer Support Act wird es an diesem Montagabend nicht leicht gemacht.

Dass Faber vollends für die Musik lebt, spürt man schnell. In der Stadtbahn in Richtung Züricher Strasse erklärt Faber – der im bürgerlichen Leben Julian Pollina heisst und der Sohn von Liedermacher Pippo Pollina ist –, dass er beinahe jedes Wochenende bei privaten Anlässen auftritt. «Vor allem für Hochzeiten oder für Geburtstage werde ich gebucht», erzählt er. Dabei geht er auf die Liederwünsche der Organisatoren ein, meist singt er italienische Klassiker oder auch mal ein englisches Lied. «Für meine Songs kommt das nicht infrage, das interessiert mich nicht.» Die Stimmung sei jeweils sehr herzlich, er geniesse diese Auftritte, dank denen er von der Musik leben kann. «Aber am liebsten bin ich natürlich selber auf der Bühne und spiele meine eigenen Songs», fügt er hinzu. Weshalb singt er denn auf Hochdeutsch und nicht auf Schweizerdeutsch? «Das hat wohl damit zu tun, dass der Sänger meiner ersten Band – einer Punkband – Deutscher war».

"Zürich brennt nicht mehr, Zürich kauft jetzt ein, baut hohe Häuser, um ’ne Grossstadt zu sein."

«Der nächste Song handelt von meiner Heimatstadt», erläutert er dem schwäbischen Publikum, bevor er mit dem Song «Züri» loslegt. Das Lied ist eine Hommage an Zürich mit durchaus zynischen Bemerkungen: «Zürich brennt nicht mehr, Zürich kauft jetzt ein, baut hohe Häuser, um ’ne Grossstadt zu sein.» Sein Fazit: «Ich bin ein Hamster im Käfig.» Es ist kurz nach 17 Uhr, als Faber in der Location eintrifft. Eigentlich sollte nun der Soundcheck beginnen. Doch erst ist Sophie Hunger mit Band dran, Fabers Bandkollege Tillmann Ostendarp ist bereits vor Ort. «Ciao Faber», begrüsst er den Musiker mit Handschlag, «alles gut?» Bei einer Zigarette tauschen sie sich aus, Faber erzählt von Berlin, Tillmann von einer Jamsession mit Kollegen. Dann klingelt Fabers Handy. Es folgt ein intensives Gespräch, es geht um die Nachbereitung eines Videodrehs. «Die Zusammenarbeit mit ihm war schon gut, aber …»

Endlich sind Faber und Tillmann dran mit ihrem Soundcheck. Muddi, der Bühnentechniker, schaut den beiden fasziniert zu. «Die Jungs sind einfach authentisch», sagt er. Die Lyrics seien kritisch, aber auch witzig. «Und das Wichtigste: Sie nehmen sich nicht so ernst», meint er. «Kann ich die Gitarre etwas lauter haben?», fragt Faber.

Nach dem Soundcheck gehts zum Essen zurück in den Backstagebereich. Dort ist auch Sophie Hunger dabei. «Na, alles klar?», fragt sie Faber und Tillmann. «Ihr müsst unbedingt von den Spätzle probieren. Die sind selbst gemacht», weist sie die beiden an. Die Stimmung ist gut, die Truppe freut sich auf den Konzertabend. Dieser ist insbesondere für Faber speziell: Es ist der letzte Abend, an dem er für Sophie Hunger eröffnen wird. Sie wird im Anschluss ohne ihn weitertouren, er wird für eine Handvoll Konzerte in die Schweiz zurückkehren.

Dann wird es ernst für Faber. Er tauscht seine Sneakers gegen ein paar lederne Stiefeletten. «Die sehen auf der Bühne einfach geiler aus», sagt er, ehe er sich mit der Gitarre zur Bühne aufmacht. Dort gibts noch einen Drücker sowie High five von Hunger. «Geniesst es!», ruft die Sängerin den beiden Jungs nach. Sie lauscht dem ersten Lied, dann zieht sie sich in ihre Garderobe zurück, um sich selbst auf ihren Auftritt vorzubereiten.

Das Set von Faber neigt sich nach einer Dreiviertelstunde dem Ende. Faber stimmt sein letztes Lied an, «Wer nicht schwimmen kann, der taucht». Ein nachdenkliches Lied über die Flüchtlingskrise. Am Ende gibts ordentlich Applaus, Tillmann und Faber kommen verschwitzt und grinsend von der Bühne. «Das war Hammer», sagt Faber. «Gehen wir eine Zigarette rauchen?»

Beim Seitenausgang beglückwünscht Frederik Boutahar die beiden. Der Musikmanager betreut Faber in Deutschland und ist auch für die deutschen Durchstarter Annenmaykantereit verantwortlich. «Cooles Set!», sagt er freudig, «es sind zwei Männer da, die wollen gerne kurz mit euch quatschen.» Kurz wird noch ein Bier aus dem Backstage geholt, und dann bringt Frederik die beiden Herren eines international tätigen Musiklabels zum Seitenausgang. In der kalten Novemberluft gibt es viel Lob für die zwei Musiker. «Das war ein tolles Konzert. Man fühlt bei euch die Lust und Energie», ist sich der eine sicher. Der Zweite pflichtet seinem Vorredner bei.

Während Sophie Hunger ihr Set absolviert, werden draussen Nettigkeiten für den Schweizer Liedermacher ausgeteilt. Zudem gibt es Tipps von den Profis, mit wem man für die erste Platte gewiss nicht zusammenarbeiten sollte. «Kommt mal wieder in die Schweiz», sagt Faber zum Abschied. Ja, das liesse sich gewiss einrichten.

Wieder in der warmen Halle angelangt, hören Faber und Tillmann noch einen Moment dem Konzert von Sophie zu. «Insbesondere die letzten beiden Songs sind top. Die bumsen richtig rein», flüstert Faber.

Doch Faber hat keine Zeit, er macht sich mit einer Box CDs auf zum Merchandisestand im hinteren Teil der Halle. Dort haben Sophies Mitarbeiter bereits etliche CDs und Vinylplatten ausgelegt. Für ihn bleibt noch ein Plätzchen am Rand, wo er einige Kopien seiner EP «Alles Gute» auflegt. Die Aufnahmen zur CD hat er sich mittels Crowdfunding finanziert, 8500 Franken hatte er gesammelt, um die Studiomiete zu begleichen, den Produzenten und seine Musiker zu bezahlen.

Die grosse Masse will Tonträger von Sophie Hunger kaufen, doch auch Faber setzt einige ab. «Er ist schon ein Frauenmagnet», sagt Tillmann schmunzelnd, als einige jüngere Mädchen eine CD von Faber erwerben. Nach einer Viertelstunde leert sich die Konzerthalle, Faber nimmt seine CDs wieder unter den Arm. «Heute lief der Verkauf nicht so gut», resümiert er. Ein Dutzend CDs hat er an diesem Abend verkauft. «An guten Abenden setze ich so gegen fünfzig Stück ab.»

Im Backstagebereich sitzt Sophie in Jeans vor einem Glas Rotwein. «Als ich Faber kennengelernt habe, war es praktisch, dass ich auf Tour war», erzählt sie. Deshalb habe sie ihn gleich als Support Act vom Fleck weg engagieren können. «Ich konnte mir gleich vorstellen, dass Faber auch bei meinem Publikum gut ankommt», sagt sie. Ob es geholfen hat, dass er gleich von Beginn an eine berühmte Fürsprecherin hatte? Sie überlegt einen Moment. «Klar ist es gäbig, dass er mit uns auf Tour sein kann», sagt sie schliesslich, «aber der Grund für seinen Erfolg liegt in seinem Talent.» Dieses sei einzigartig. «Als ich in Fabers Alter war, habe ich mit meiner ersten Band erst begonnen, Konzerte zu spielen», erinnert sich Hunger. Doch er habe bereits heute ein ungeheures Mass an Professionalität. «Seine Bühnenpräsenz ist auch wahnsinnig gut». Bereits mit den ersten Liedern gewinne er das Publikum für sich, mit seiner Ausstrahlung, den Texten und seiner Stimme. «Er ist für mich ein richtiger Chansonnier.»

Sophie Hunger selbst verfolgt auch von ihrem derzeitigen Wohnort Berlin aus die Schweizer Popmusikszene, sie besucht regelmässig Konzerte von Schweizer Musikern. Ihr Fazit fällt äusserst positiv aus: «Wir haben die viel besseren Popbands als die Deutschen.» Die musikalische Qualität sei überragend. Spontan kommen ihr Bands wie Boy, Domi Chansorn, Puts Marie oder Anna Aaron in den Sinn – «es gibt aber noch viele mehr». Ob auch Faber in Deutschland die grosse Karriere erwarten wird? Hunger findet klare Worte: «Faber singt auf Hochdeutsch, also muss Deutschland für ihn das Ziel sein.» Doch vorerst solle er ein Jahr lang möglichst viele Konzerte im deutschsprachigen Raum spielen. «Er muss erst sein Publikum finden, bevor er eine CD rausgibt.» Sowieso müsse er sich erst mit ihr an den Küchentisch setzen, bevor er einen Plattenvertrag unterschreibe. «Er soll sein Ding durchziehen, aber bei solchen wichtigen Entscheidungen greife ich ihm gerne weiter unter die Arme.»

"Gell, du kommst dann schon bei mir vorbei, bevor du einen Vertrag unterzeichnest?"

Nun öffnet Faber im Backstagebereich das Fenster und zündet sich eine Zigarette an. «Gell, du kommst dann schon bei mir vorbei, bevor du einen Vertrag unterzeichnest?», fragt ihn Sophie Hunger. «Logo.» Sie freut sich nun auf die Konzerte in der Schweiz, die sie im Winter spielen wird. «Es tut gut, mit einer neuen Platte nach Hause zu kommen.» Denn dank des starken Supports aus der Schweiz «konnte ich meinen Traum weiterträumen und in Deutschland Fuss fassen». Dies sei unabdingbar: Dass man zuhause eine gute Basis habe.

Langsam wirds backstage ungemütlich: Das Buffet wird weggeräumt und der Kühlschrank geleert. «Ich muss noch mein Bühnenkleid und die Schuhe aus der Garderobe holen», sagt Sophie Hunger und springt auf. Faber und Tillmann machen sich daran, ihr Equipment zusammenzupacken. Die Handgriffe sind eingeübt, nach wenigen Minuten sagt Faber: «So, mein Tourbus ist beladen» und zieht einen bepackten Rollkoffer hinter sich her. Draussen verabschiedet er sich von Sophie Hungers Team, das noch heute Nacht in einem etwas grösseren Tourbus weiterfährt. Die Umarmungen sind herzlich, man wünscht sich alles Gute und hofft, sich schon bald mal wieder zu sehen. Dann rollt der Bus davon, Faber und Tillmann machen sich auf zur Jugendherberge. Es ist kurz vor Mitternacht, morgen früh gehts mit dem Zug zurück in die Schweiz: Interviewtermin bei SRF Virus.

Welscher Sonder- fall?

Die Musikszene der Romandie

Von Christoph Schenk

Die Musikszene der Romandie hat eine eigene Produktionsstruktur und auch einen eigenen Stil innerhalb der Schweizer Popmusik. Die Musiker kämpfen mit besonderen Rahmenbedingungen und sind – bedingt durch einen lokalen Markt, der nur zwei Millionen Personen zählt – gezwungen, den Blick in Richtung Ausland zu richten. So ist die Welschschweiz immer wieder der Ort, an dem internationale Karrieren ihren Ursprung haben. Dennoch kämpft die Szene um Anerkennung.

Gibt es überhaupt so etwas wie eine eigenständige Musikszene in der Westschweiz? Diese sogenannte «Szene» definiert sich ja weniger kulturell oder politisch, sondern vielmehr geografisch. Und da ist es schwierig, einheitliche Konturen, eine ökonomische und politische Realität oder eine gemeinsame Geschichte zu erkennen, denn zwischen Genf und Freiburg, in Lausanne, Neuenburg, Sion oder Délemont müssen die Musiker, Labels, Agenturen, Clubs und Festivals mit den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen kämpfen.

Und doch habe ich den Eindruck, dass es eine welsche Besonderheit gibt: eine spezielle musikalische Szene mit einer eigenen Produktionsstruktur und auch mit einem eigenen Stil innerhalb der Schweizer Popmusik. Geschichte und Entwicklung dieser Szene haben mit spezifischen Einschränkungen und Zwängen, aber auch mit positiven Gegebenheiten zu tun, und alles ist miteinander verbunden. Natürlich erheben diese Zeilen nicht den Anspruch, eine wissenschaftliche Analyse oder eine definitive Abhandlung des Themas zu sein. Es geht mir vielmehr darum, eine Reihe von Beobachtungen zu teilen, die ich im Verlauf der letzten zehn Jahre hinter, auf und vor den Bühnen der welschen Schweiz machen konnte.

Die Mehrheit der welschen Musiker ist gezwungen, sich zu exportieren, um zu existieren.

Wenn die Einheit der musikalischen Szene der Romandie nicht auf den ersten Blick ins Auge springt, so sind ihre Akteure doch durch gemeinsame Herausforderungen verbunden. So ist die grosse Mehrheit der welschen Musiker gezwungen, sich über die Landesgrenzen hinaus zu orientieren, um überhaupt existieren zu können. Während die Deutschschweizer Musiker gute Aussichten haben, ihr Überleben im Heimatmarkt sicherzustellen, sind ihre welschen Kollegen praktisch zum Export gezwungen. Dieser Tatsache ist es zuzuschreiben, dass sich die Szene heute auf eine ganz besondere Art und Weise präsentiert. Dies betrifft sowohl die künstlerische Vielfalt als auch die Entwicklung der Distributionsplattformen.

Der welsche Markt umfasst nur zwei Millionen Einwohner, im Vergleich zur Deutschschweiz, die mehr als sechs Millionen Einwohner zählt. Allein dieser Umstand macht die Versuchung, autark sein zu wollen, zu einer Illusion. Es ist für die meisten Musiker aus der Romandie unvorstellbar, bei einer Beschränkung auf die lokalen Tourneemöglichkeiten und Netzwerke von ihrer Musik zu leben oder auch nur mit einer gewissen Regelmässigkeit öffentlich auftreten zu können.

Einige welsche Musiker haben das Problem so gelöst, dass sie sich auf den Deutschschweizer Markt ausgerichtet und eine nationale Karriere gemacht haben; dies gilt vor allem für Exponenten der Hip-Hop-Szene, wie die Erfolge von Sens Unik und Stress zeigen. Die meisten aber entscheiden sich für ausländische Märkte, die bei den Nachbarländern beginnen und bis hin zu ferneren Ländern reichen.

Die Zeit, als Paris und Frankreich das erklärte Ziel der welschen Musiker und besonders der Chansonniers war, ist vorbei. Das musikalische Spektrum hat sich seit den 80er-Jahren enorm verbreitert und internationalisiert. Zu den Pionieren, die davon profitierten, gehörte die Freiburger Gruppe The Young Gods. Sie brachte es fertig, die britische Fachpresse zu begeistern, ohne die französische Sprache zu verraten. Eine ähnliche Glanzleistung vollbrachten vor einigen Jahren die Genfer von Mama Rosin, die auf den Bildschirmen der BBC mit einem Folk-Chanson im Cajundialekt für Furore sorgten.

Natürlich hat sich Englisch auch bei den welschen Musikern als Lieblingssprache durchgesetzt, wenn man vom französischen Chanson und dem Hip-Hop mal absieht. Diese Entwicklung hat überraschenderweise nicht zu einer Uniformierung der Szene geführt, denn die Wahl der Sprache geschah weniger aus bewusstem Kalkül, sondern hat sich einfach aus den Strömungen und Einflüssen der jeweiligen Zeit ergeben. Es gibt in der Szene eine Sensibilität, die sehr feinfühlig auf solche Entwicklungen reagiert. Nicht selten beeinflussen sich die Exponenten auch untereinander. Man erinnere sich nur an die Karrieren von Stephan Eicher und Sophie Hunger, zwei Deutschschweizer Musikern, denen die Romandie als Sprungbrett, ja sogar als Refugium diente. In den 80er-Jahren hat Eicher im Lausanner Club La Dolce Vita einen Ort für seine musikalischen Experimente gefunden. Und am Ende der Nullerjahre fand Sophie Hunger in der Lausanner Agentur Two Gentlemen eine Startrampe, die ihre Karriere begünstigt hat.

Dies sind zwei Beispiele unter vielen, die für die welsche Offenheit stehen. Sie illustrieren zudem die Dynamik und die Bedeutung der musikalischen Strukturen, die in der Romandie entstanden sind. Wo gestern nur ein alternativer Club war, steht heute eine Managementagentur, die vom Booking bis zum Merchandising alles regelt. Und dazwischen findet sich eine Vielzahl an Festivals, Labels und Vereinen. All das sind Plattformen, die den welschen Musikern als Begegnungsorte und kreative Foren dienten und immer noch dienen.

Innerhalb von vierzig Jahren, seit dem Aufkommen der ersten Clubs und Festivals, haben sich die Konzertorte und Events vervielfacht. Sie haben an Bedeutung gewonnen und sich ihren Platz in der kulturellen und kommerziellen Landschaft der Romandie erobert. Das Gleiche lässt sich auch für die Netzwerke und Plattformen sagen, welche den Musikern Halt geben und sie bei der Promotion ihrer Auftritte und der Distribution ihrer Tonträger unterstützen.

Das Resultat: Die Musikszene ist heute ein wirtschaftlicher Akteur, der auf dem kulturellen Markt seine Bedeutung hat. Der Jahresumsatz der grossen Konzerte und Festivals liegt gemäss Daten der Swiss Music Promoters Association (SMPA) heute bei hundert Millionen Franken.
Die Berufsfelder, die mit der Musikszene in Verbindung stehen, zählte im Jahr 2010 mehr als tausend Stellen, wenn man alle Sektoren mit einbezieht – so eine Erhebung der FCMA (Fondation romande pour la chanson et les musiques actuelles). Diese Expansion hat auch zur Professionalisierung eines ganzen Wirtschaftszweigs und der damit verbundenen Personen beigetragen. Mitgeholfen haben einerseits ein Netzwerk von Vereinen, aber auch viel persönliches Engagement und zahlreiche Einzelinitiativen.
Niemand käme heutzutage auf die Idee, die Rolle dieser Berufe infrage zu stellen. Programmverantwortliche, Manager und Produktionsverantwortliche: Sie alle tragen zur Organisation musikalischer Ereignisse in der welschen Schweiz und zur Entwicklung einer welschen Musikszene bei. Trotz dieser positiven Bilanz klagt die Szene über mangelnde Anerkennung. Gewiss, Städte wie Genf, Freiburg und Lausanne geniessen weit über die Grenzen der Romandie hinweg einen guten Ruf; Festivals wie das Paléo Festival in Nyon oder das Montreux Jazz Festival sind obligatorische Etappen für Musikfans im Festivalsommer; Labels wie Two Gentlemen, Moi j’connais, Mental Groove oder Creaked haben sich in den Bereichen Rock, Pop und Electro europaweit durchgesetzt; Musiker wie Olivia Pedroli, The Animen, Kadebostany oder Orchestre tout puissant Marcel Duchamp begeistern Kritik und Publikum in den Nachbarländern. Aber ihr Erfolg scheint die lokale und politische Sicht auf die Szene, aus der sie hervorgegangen sind, nicht grundsätzlich verändert zu haben.

Schlimmer noch: In der jüngsten Vergangenheit haben sich die Perspektiven für wichtige Bastionen, die diese Szene mitbegründeten, verdüstert. Das Fri-Son in Freiburg und L’Usine in Genf stehen vor einer unsicheren Zukunft, Pionierfestivals wie das For Noise oder Electrosanne in Lausanne haben gar das Ende ihrer Aktivitäten angekündigt. Diese Alarmzeichen erinnern daran, dass die gesellschaftliche und politische Bedeutung dieser Strukturen immer noch nicht wirklich anerkannt ist. Hinzu kommen die Langsamkeit und der Rückstand seitens der Förderpolitik, was die Unterstützung der aktuellen Musiksparten in der Romandie angeht.

Es fehlt immer noch eine wirkliche, die ganze Romandie umfassende und abgestimmte Politik, die eine enge Zusammenarbeit zwischen Städten und Kantonen einschliesst, wie sie im Bereich Film beispielsweise dank dem Cinéforom vorhanden ist – trotz aller Anstrengungen, die von der FCMA unternommen wurden. Auch ist eine Anerkennung der Arbeit der Labels und Agenturen, die mit jener der Buchverlage im Literaturbereich vergleichbar wäre, nach wie vor die Ausnahme. Dies verunmöglicht eine koordinierte und ambitionierte Subventionspolitik. Auch die Überlegungen rund um die Ausbildung der verschiedenen Akteure stecken noch in ihren Anfängen, obwohl einzelne Exponenten, die im Bereich der zeitgenössischen Musik tätig sind, am Projekt Master en management culturel der Universität Lausanne beteiligt sind. Schliesslich scheint die Bedeutung, die der Weitergabe der Kompetenzen innerhalb der Vereinsstrukturen zukommt, immer noch zu wenig erkannt.

Dennoch haben sich die Fronten in den letzten zehn Jahren bewegt und dass es eine Musikszene der Romandie wirklich gibt, ist im öffentlichen Bewusstsein angekommen.

Übersetzung: Christophe Büchi

Rappen am Rand

Auf Spurensuche in der Hip-Hop-Szene

Von Adrian Schräder

Sie nennen sich Xen, Jiyabi oder Migo, verzichten auf die mediale Öffentlichkeit und machen sich lieber rar. Denn Fernsehstudios zu besuchen oder für andere Bands die Vorgruppe zu mimen: Darauf haben sie keine Lust. Dennoch landen diese jungen Rapper in der Hitparade. Wie ist dies zu erklären? Eine Schweizerreise mit Halt in Winterthur Grüze, Bern und Basel.

Donnergrollen, Wind, starker Regen. Warten vor einem sechsstöckigen Bürogebäude im Niemandsland der Winterthurer Industriezone. Warten auf Shkelzen Kastrati, Künstlername Xen, Rapper aus Dietikon. Es ist Samstagabend, kurz vor 19 Uhr, und ausser dem Journalisten treibt sich hier niemand zu Fuss herum. Niemand ist bei diesem Wetter freiwillig unterwegs – leider auch nicht Shkelzen Kastrati.

In dem Gebäude, vor dem der Chronist langsam aber sicher aufgeweicht wird, sind die Büros von Xens Label Physical Shock untergebracht. Und anscheinend auch das Studio, in dem der Künstler die Mehrheit seiner Stücke aufgenommen hat, so die Stücke seines Debütalbums «Ich gäge mich», das 2015 aus dem Stand auf Platz vier der offiziellen Albumcharts landete. Und das, obwohl die Buchstabenfolge X-e-n kaum jemandem ein Begriff war. Ein Gesicht damit verbinden konnten noch weniger.

Doch wie schaffte es ein Nobody in die Top Five der Hitparade? Jemand, der vorher kaum Konzerte gespielt hat, in keiner TV-Sendung aufgetreten ist und keinem Journalisten ein Interview gegeben hat? Die Antwort lautet in diesem Fall: iGroove. Ein Anbieter, der Downloads via SMS anbietet. Der physische Tonträger war zum Zeitpunkt des Charteintritts noch nicht mal verfügbar.

Seit diesem mirakulösen Ereignis hat sich Xen an den Swiss Music Awards gezeigt, wo er als Newcomer nominiert war. Er ist in weiteren Youtube-Videos aufgetreten und war auf einigen Konzertplakaten zu sehen. Mehr nicht. Wie geht das also? Was ist seine Motivation? Wer ist seine Käuferschaft? Und wieso nutzt jemand diese Chance nicht, um eine Person des öffentlichen Lebens zu werden und seine Verkäufe möglicherweise zu vervielfachen? Darüber und über vieles mehr hätte der Journalist gerne mit dem 26-Jährigen gesprochen. Aber auch gut fünfzig Minuten nach dem vereinbarten Zeitpunkt sieht er in Winterthur Grüze nichts als Regen, Donner und verschlossene Türen. Die Anrufe auf die Mobilnummern des Künstlers und seines Managers bleiben unbeantwortet.

Bleiben nur Mutmassungen und das Herumfragen in der Szene. Das Ergebnis: Der Mainstreamerfolg, der Gang an die grosse Öffentlichkeit scheint für Xen nicht oberste Priorität zu haben. Ein beachtliches Stammpublikum – immerhin fand sein Album aus dem Stand geschätzte 4500 Abnehmer – hat er bereits gefunden. Viele, die wie er albanischstämmig sind. Viele, die wie er, obwohl hier geboren, in zwei Kulturen aufgewachsen sind. Viele wohl auch, die sonst nicht unbedingt Mundartrapalben kaufen. Die aus Dietikon, aus Schlieren, aus Urdorf stammen. Oder aus sonst einem vorstädtischen Ballungszentrum. Glaubt man Xen selbst, dann ist Rap für ihn in erster Linie vor allem eines: Therapie. In seinen schnellen, scharf hervorgestossenen Raps nimmt er immer wieder darauf Bezug, verarbeitet die Schwierigkeiten seiner Jugend und der Berufsausbildung. Er nutzt die Möglichkeit, um ein paar Schritte zurückzumachen, ein paar tiefe Züge vom Joint zu nehmen und sich den Alltagsfrust von der Seele zu rappen. Termine einzuhalten, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, Interviews zu geben sind dabei unwichtig. Die Leute, die ihn hören sollen, die seine Codes verstehen, kennen ihn ja schon. Alles andere bedeutet Stress. Ausserdem hat man ja einen Job.

Voll auf die Musik zu setzen lohnt sich rein rechnerisch nicht – auch wenn Xen, wie viele Rapper, Geld und lukrative Geschäfte in seinen Texten immer wieder thematisiert.

Voll auf die Musik zu setzen, lohnt sich rein rechnerisch nicht.

Wenn man sich über Musik am Rand ein Bild machen will, muss man nicht in die Abgeschiedenheit reisen. Die Rapacts, von denen hier die Rede ist, sind in urbanen Ballungszentren zuhause. Trotzdem lernen wir ganz unterschiedliche Szenerien kennen. Eine Woche nach dem geplatzten Date mit Xen finden wir uns in einem lila gestrichenen, fensterlosen Kellerraum in der Basler Innenstadt wieder. Er gehört zu der ehemaligen Shisha Lounge Harem, die unter dem Namen Doors Club bald neu eröffnen soll. Hier sitzt Jiyan Aksak, 24, geboren im türkischen Teil Kurdistans, aufgewachsen in Zollikofen, und sagt: «Der Sound muss ‹brätschen›. Der Bass muss laut sein. Das muss einfach gut klingen im Auto.» Der junge Kurde, der seit zwei Jahren in Basel wohnt, aber vom Dialekt her noch unüberhörbar mit dem Kanton Bern verknüpft ist, hat unter dem Namen Jiyabi sein Debütalbum veröffentlicht.
Es heisst «Jiyabi Politik». Auf dem Cover sieht man einen Demonstranten, der einen Molotowcocktail schmeisst, auf den Stücken hört man einen jungen, selbstbewussten Mann, der sein Volk zur aktiven Verteidigung seiner Rechte auffordert. Er erwähnt die Theorien von Karl Marx, Gedankengut der PKK, beschreibt, was er im syrischen Kobanê gesehen hat, und tritt für einen kurdischen Staat ein.

Das alles geschieht allerdings weder auf Mundart noch auf Kurdisch oder Türkisch, sondern auf Hochdeutsch. «Ich bin von Rappern wie Azad geprägt worden. Mundartrap hat mir nie etwas gesagt», erklärt Aksak die ungewöhnliche Sprachwahl. «Ausserdem ist das Hochdeutsche irgendwie besser. Man kann mehr sagen, es klingt ernster und kräftiger.» Und genauso will er klingen. Als Rapper müsse man eine Rolle verkörpern und eine Linie durchziehen. «Mundartrap konnte ich noch nie ernst nehmen», sagt er und trinkt sein Red Bull aus.

Natürlich ist es auch ein politisches Gespräch, das sich hier in den kommenden siebzig Minuten entspinnt. Vor allem aber eines über Rap mit Haltung. «Keine Ahnung wieso, aber mit meiner Musik will ich die Leute traurig machen. Sie soll dramatisch sein, einen berühren.» Und auch zum Nachdenken anregen: Im Stück «Rapinitiative» nehmen er und der Berner Rapper Desmond Dez auf die Auswüchse des politischen Systems der Schweiz Bezug. Darauf, dass man hier alles infrage stellen kann oder könnte. Vielleicht folgt ja, so schlussfolgern sie, nach der Minarett- und der Durchsetzungsinitiative bald die den Sprechgesang verbietende Rapinitiative. Rap, so sagt er, sei für ihn auch eine Art Nachrichtensender, also Wissensvermittlung.

Mehrere Hundert Einheiten hat Aksak bislang verkauft. «Dafür, dass es sich um ein Debüt handelt und mich noch nicht viele Leute kennen, bin ich eigentlich zufrieden». In den kommenden Monaten will er die Beziehungen nach Deutschland weiter ausbauen und dort erste Konzerte spielen. Bereits jetzt bezieht er Beats von einigen deutschen Szenegrössen. Auf seinem Album sind die deutschen Rapper Manuellsen und Bero Bass zu hören, Letzterer auf dem dramatischen Stück «Heval», das kraftvolle hochdeutsche Raps mit kurdischen Brocken mischt.

Migo, 25 Jahre alt, sieht aus, als ob er kein regelmässiges Leben lebe. Das schwarze Tuch, das er um den Hals trägt, könnte sehr gut zur Vermummung an einer Demo dienen. Er entpuppt sich als sympathischer junger Mann, als kritischer Geist, der sich seine Aktionen sehr genau überlegt. Im Fernsehen rumzuhampeln oder für andere Bands die Vorgruppe zu mimen, hat der seit Jahren als einer der besten Newcomer des Landes gehandelte Rapper keine Lust. Mehr Lust hat er, seine Zeit möglichst frei einzuteilen. Freunde und Bekannte bei Projekten zu unterstützen, kreativ tätig zu sein.

Wir sitzen unter einem Baum im Garten der Brasserie Lorraine. In dem Teil von Bern, in dem Migo aufgewachsen ist. Das mit dem Rap, das sei mehr ein Hobby, nicht alles auf der Welt, meint er. Dass er schon mehrere Preise bekommen und auch bei dem alljährlichen Kräftemessen der Szene namens «Bounce Cypher» in den Studios von Radio Virus immer vorne mitmischt, ändert nichts an seiner Grundhaltung. Nichts überhasten, nichts aus der Hand geben, nichts nur aus Profitgier oder dem Lechzen nach Ruhm machen. Er gefällt sich in der leicht ironisch besungenen Rolle des Untergrundhelden auf dem letzten Downloadalbum «Partys im Blauliecht 2». Das Stück ist ein Hit an der Piratenbar vor der Berner Reitschule, einem von Migos Stammplätzen. Der Ort, wo er Becher voller Fantasie tankt für seine Projekte. Er schätzt die kreative Kraft, die hier vorhanden ist, die Unruhe, den Willen, etwas zu bewegen, auch wenn man dabei auf Widerstand stösst. Sich zu reiben, sagt er, sei unumgänglich, sonst könne man nichts bewegen. «Es ist doch absurd, wenn man sich von dem System, das man bekämpft, eine Bewilligung erteilen lässt, um es zu bekämpfen», sagt er und klaubt zum Schluss des Gesprächs die wahrscheinlich zehnte Zigarette aus dem Päckchen, ehe er sich davonmacht. Ein Sonntagsbesuch bei den Eltern steht an.

Zu dem Konzert der Berner Gruppe S.O.S. im Club Bonsoir will er den Journalisten nicht begleiten: «Das ist nicht meine Szene, das ist mir zu edel.» Die Rapper Nativ und Dawill und der Produzent Questbeatz erfinden den Mundartrap gerade neu. Noch nie hatte Schweizer Sprechgesang so ein Energielevel, noch nie so viele formelle Freiheiten. Der Sound des Trios variiert vom klassischen Kopfnicker- oder Boom-Bap-Sound der Neunzigerjahre bis hin zum neuesten, böse zischelnden und wummernden Trap. Und über dieses Repertoire rappen sie – immer in Mundart. Ihre Grundaussage scheint immer wieder die zu sein: Beuge dich keinen Konventionen. Auch nicht dem Reim. Wenn sich die Wörter nicht reimen wollen – tants pis, sie hatten ihre Chance. Ihr neues Album «Candomblé» – wie Migos Veröffentlichungen ebenfalls gratis erhältlich – enthält eine einfache spirituelle Grundmessage: Wenn sich die Menschheit auf ihre Gemeinsamkeiten besinnt und die Musik auf sich einwirken lässt, hat man vielleicht gar keine Lust mehr, sich die Köpfe einzuschlagen.

Immer wieder fordert Nativ das Publikum im ausverkauften Club Bonsoir dazu auf, sich zum «Mosh Pit» zu formieren, im Pogotanz aufeinander loszustürmen. Die jungen Fans folgen der Aufforderung begeistert. Der Raum, inzwischen auf Saunatemperatur aufgeheizt, besteht während des Konzertes grösstenteils aus einer wogenden Menge. Die ersten Reihen rappen jedes Wort mit – ob sinnentleert oder clever. Immer wieder betonen die drei beim Gespräch im Backstagebereich von der Grösse eines Schuhkartons ihre Unabhängigkeit, ihren Willen, sich nicht zu verbiegen, sich nicht in ein Schema pressen zu lassen, frei nach Bauchgefühl zu agieren, alle Einflüsse zuzulassen. Und deren sind genügend da: Der Vater von Nativ stammt aus der Elfenbeinküste, Dawill hat Wurzeln in der Dominikanischen Republik. Gehört haben sie schon immer alles, ganz selbstverständlich. Kurz nach zwei Uhr morgens stimmen die beiden durchgeschwitzten Rapper einen ihrer grössten Hits an. «läbä & stärbä» ist eine Hommage an ihre Heimatstadt – und hat sich in Bern zu einer Hymne entwickelt. Den Refrain: «Hie läbä mer, hiä stärbä mer!» rufen ihnen jetzt schon die Berner Uniformierten von Weitem zu, erzählt Dewill schmunzelnd. «Eigentlich waren wir beide richtig schlecht drauf an dem Tag, als der Song entstanden ist. Das war wohl Trotz.» Im Club gerät der Song zum überhitzten Höhepunkt. So einen Moment hat Mundartrap noch nicht erlebt, so energetisch, so jetztzeitig war Mundartrap wohl noch nie. Es sind vielleicht noch keine Songs für die Ewigkeit, die S.O.S. da geschaffen haben, dafür ist der Sound zu sehr in der Zeit verhaftet. Es ist ein flüchtiger Moment, aber deswegen nicht weniger denkwürdig.

Im Moment führen Dawill und Nativ mit den von Questbeatz produzierten Stücken kleine Hallen und Clubs dem Wahnsinn entgegen. Ob sich ihr Sound auch für die breite Masse eignet, bleibt abzuwarten. Alle drei wären bereit, voll auf die Karte Musik zu setzen.

In Dietikon respektive Berikon im Kanton Aargau, wo Xen mittlerweile wohnt, wäre man an diesem Schritt schon einiges näher dran. Im Prinzip. Würde denn die Öffentlichkeitsarbeit funktionieren. Auch zehn Tage nach dem geplatzten Interview gibt es noch keine Neuigkeiten. Oder zumindest nur indirekte: Der für das Frühjahr 2016 geplante Labelsampler «Physical Shock Vol. 1» wurde auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben.

London Calling

Alle Wege führen nach London – bloss wie?

Von Hanspeter Künzler

London ist weiterhin das Mekka des globalen Musikgeschäfts. Wer hier ankommt, kommt auch in der restlichen Welt an, heisst es. Und auch Schweizer Musiker wollen das gerne glauben. Aber die Schweizer Musikszene tut sich im Umgang mit der britischen schwer. Wird sie in der Popmetropole überhaupt wahrgenommen?

 Welche Assoziationen verbinden Sie mit dem Begriff «Schweizer Musikszene»?, hatte ich in meinem Londoner Bekanntenkreis herumgefragt. «Yello. Und die Young Gods. Wen gibts sonst noch?» antwortete der freischaffende PR-Mann. «Buchstäblich nichts», entgegnete der Besitzer eines Indiekonzertlokales, «ausser Evelinn Trouble und ein, zwei andere Bands, die über die Jahre hinweg hier aufgetreten sind, aber an deren Namen ich mich nicht erinnern kann.»


«Die Schweiz ist ein toller Markt für Musik», schreibt die bei einem führenden Indielabel fürs internationale Marketing zuständige Managerin per E-Mail: «Gute Musik wird in der Schweiz sehr geschätzt, aber die Möglichkeiten, glaubwürdige, weniger kommerziell ausgerichtete Musik zu vermarkten, sind der hohen Preise wegen limitiert.» Der Kapitän eines wohletablierten Indielabels mit Hitparadenerfolg tönte kurz angebunden: «Du, Swiss Music Export, Musikvertrieb sowie tolle Festivals.» Von einem nicht identifiziert werden wollenden «Business Insider», der in einer führenden Rolle bei einer Plattenfirma tätig ist, kam Folgendes zurück: «Celine Dion beim Eurovisionswettbewerb. Tom G. Warriors Todesgrunzen. Die Young Gods. HR Gigers Plattenumschläge für Emerson, Lake & Palmer.» Er müsse gestehen, dass es ihm schwerfalle, sich ein klares Bild von der zeitgenössischen Schweizer Musikszene zu machen: «Das könnte auf eine persönliche Bildungslücke zurückzuführen sein. Aber es kann auch damit zusammenhängen, wie das Business die Medien in der Schweiz behandelt. So betrachtet man Zürich und die Deutschschweiz gern als Anhängsel von Deutschland, Genf und Umgebung als eine Provinz von Frankreich.» Nach all den Jahren wisse er noch immer nicht recht, wo die italienische Schweiz so stehe. «Aber eine Rapgruppe auf Rumantsch wäre echt toll!»

Bleibt noch mein Lokal-Pub, «The Prince of Wales». «ABBA!», kommt es wie aus der Pistole geschossen aus mehreren wohlgeölten Kehlen. «Aber wir reden doch von Switzerland, nicht Sweden!», wiehern andere Gäste triumphierend zurück. Und dann: gähnende Stille.

"Aber wir reden doch von Switzerland, nicht ­Sweden!"

Auch wenn in den deutschsprachigen Medien derzeit mehr Musik aus Nordamerika und dem restlichen Europa als aus Grossbritannien zu hören und zu sehen ist, ist London doch weiterhin so etwas wie das Mekka des globalen Musikgeschäftes. Das hat historische Gründe. Schon im 19. Jahrhundert wurden hier die ersten Musikverlage eingerichtet, Popmusik begann seinen Sturm um die Welt mit massenproduzierten Notenblättern, die mit den Mitteln der industriellen Revolution im Nu vertrieben werden konnten – beispielsweise im Publikum einer öffentlichen Hinrichtung. Mit mehreren wöchentlichen Musikzeitungen, die seit den 1930er Jahren überall erhältlich waren, stand die britische Musikindustrie bereit, als die Beatles über die Welt hereinbrachen. Das Ruder hat man seither nicht mehr aus der Hand gegeben. Wer in London ankommt, kommt auch in der restlichen Welt an, so die selten widerlegte Theorie.

Eine Theorie, die auch unter Schweizer Musikern gern herumgereicht wird und schon das eine und andere Träumchen geschürt hat. Aber die Schweizer Musikszene tut sich im Umgang mit der britischen zumeist schwer. Am Anfang aller Schwierigkeiten steht ein klares Identitätsproblem. Dies trifft zumindest für die Ecke der Schweizer Musikszene zu, die auf Gitarren und singende Stimmen oder aber chromgleissende Popkonfektion steht. Die Verlockung, sein Glück in London zu versuchen, ist gross – nicht nur für Schweizer Künstler. Alle Frühlinge wieder kommen eine Handvoll Gitarrencombos, singende Songschreiberinnen und Möchtegern-U2s über den Ärmelkanal, um mit dem Enthusiasmus frisch geschlüpfter Möwenküken in den Ozean der Londoner Möglichkeiten einzutauchen.

Auf dem Rücken tragen sie die schwere Last ihres Geschichtswissens: In London ist alles losgegangen, an jeder Ecke hat einmal ein Rolling Stone seine Blase geleert, ein Paul McCartney einer Michelle zugelächelt und ein Sex Pistol eine bluttriefende Sicherheitsnadel in die Gosse gespuckt. Die Augen der Schweizer Neuankömmlinge funkeln nur so vor Erwartungen und der leisen Hoffnung, dass sie vor dem hohen Gericht dieser Geschichte tatsächlich bestehen können. Die englische Mentalität hat ihnen ja schon immer gefallen, daran soll es nicht scheitern: Erst am Tag vor der Abfahrt hat man nochmals reichlich Monty Python reingezogen, damit man mit dem schwarzen Humor, den man so lustig findet, klarkommt. Insgeheim weiss man es aber schon jetzt: Die Chance, tatsächlich aufzufallen, ist gering. «Aber wenigstens haben wirs probiert.» Zwei Wochen lang geniessen sie das Rock ’n’ Roll-Leben zwischen Airbnb-Sofas und lottrigen Pub-Latrinen und lassen überall Visitenkarten und CDs liegen.

Dann sitzen sie wieder daheim in Helvetien und warten darauf, dass sich einer der CD-Empfänger begeistert meldet. Sie warten vergeblich. Sechs Monate später wollen sie nachdoppeln und stellen fest: Keiner kann sich an sie erinnern. Wenn sie irgendwo auftreten wollen, müssen sie wieder ganz zuunterst anfangen. Tough. That’s life.

Von meiner Londoner Warte aus ist die Schweizer Musikszene in allen Landesteilen über die letzte Dekade hinweg ungleich aufregender geworden, als sie dies in den inzwischen romantisch verzerrten, bewegten Achtzigerjahren gewesen war. Das stilistische Panorama ist breiter, dieinternationale Vernetzung dank Internet kinderleicht, Auslandstourneen sind keine Seltenheit mehr, mittels Knopfdruck können Musik, Videos und Pressematerial in alle Welt verschickt werden.

Der wichtigste Aspekt dieser Entwicklung hat sich aber auf künstlerischer Ebene abgespielt. Von den Big-Band-Zeiten von Teddy Stauffer und Hazy Osterwald bis weit in die Achtziger hinein hatten sich Schweizer Musiker bemüht, den Dampf eines anderswo erfundenen Stiles tief genug in die Lungen zu saugen, sodass man vor der internationalen Konkurrenz zumindest von der Technik her bestehen konnte. Originalität war durchaus zu finden, im freien Jazzbereich bei Irène Schweizer etwa oder beim Synthiepionier Bruno Spoerri. Aber für jeden kühnen Frontkämpfer gab es zehn übereifrige Yes- und Cat-Stevens-, später Eddie-&-the-Hot-Rods- und Echo-&-the-Bunnymen-Verschnitte. Für den Export waren diese besseren Tributebands denkbar ungeeignet. Schliesslich verfügte jedes andere Land über eine ähnliche Garnitur von besseren Tributebands. Und in England ging sowieso nichts, denn hier war die Konkurrenz übermächtig: Jeder Vierzehnjährige startete damals eine Band, und von John Peel bis zum «New Musical Express» feierten die Medien Originalität, nicht Effizienz. Die miese Jobsituation, gekoppelt mit der damals noch passablen Arbeitslosenunterstützung, bedeutete, dass man viel Zeit zum Üben hatte. Wenn dann die Schweizer und Schweizerinnen, 25-jährig und mit einem sich dem Ende zuneigenden Anglistikstudium auf dem Buckel, endlich genug Synkopen beisammenhatten, lagen sie im Vergleich zur angelsächsischen Konkurrenz bereits zehn Jahre im Hintertreffen.

In den Achtzigerjahren, im Fahrwasser des New Wave, ermutigt wohl auch durch das eigenwillige Verlagsprogramm von nicht-britischen Labels wie RecRec und Organik in Zürich oder Crammed in Belgien, begannen sich die Dinge zu ändern. Man fasste sich ein Herz, griff zur Handorgel, sang, wie der Schnabel gewachsen war, betextete Schweizer Themen und liess einen Hauch zentraleuropäische Zirkusmusik in den Sound einfliessen. Und siehe da, die lawinenhafte Ausdehnung einer neuen, authentisch schweizerischen Musikszene war nicht mehr aufzuhalten. Blöd nur, dass Musik mit Lokalkolorit im angelsächsischen und damit globalen Popgeschäft wenig Durchschlagskraft hat. Schon ein fremdsprachiger Text verdammt ausländische Künstler zu einem Mauerblümchendasein in der Schublade World Music, und auch dort bleiben sie gewöhnlich im Schatten der «wahren» World Music aus Bulgarien, Brasilien oder Burkina Faso hängen.

Auch die Instrumentierung garantiert Outsiderstatus: Handorgel in einer Rockband, wie bitte?

Auch die Instrumentierung vieler Schweizer Bands garantiert Outsider-Status: Handorgel in einer Rockband, wie bitte? Es kommen melodische Eigenheiten dazu, die sich wohl aus der Schweizer Volksmusik- oder gar Schlagertradition, aus Italien, Frankreich oder Deutschland eingeschlichen haben: Im angelsächsischen Pop-Ohr wirken sie ungewohnt, unbequem und unerwünscht.

Originelle Schweizer Combos haben es also kein bisschen leichter, beim britischen Ohr anzukommen als all die müden Schweizer Neo-Libertines mit ihren klapprigen Gitarren oder die eifrigen Barden mit Wuschelkopf und Jeff-Buckley-Fixierung. Aber es gibt sie, die Erfolgsbeispiele von Künstlern und Künstlerinnen, die von der Schweiz aus auch in London Ruf und Respekt aufgebaut haben. Sie tummeln sich oft in der elektronischen Musik, wo Texte manchmal kaum eine Rolle spielen, oder – wie im Falle der Genferin Aïsha Devi – wo exotisch klingende Gesänge eher als reiner Klang statt als entschlüsselbare Abfolge von Worten wahrgenommen werden.

Das rührige Berner Rockabilly / Trash-Label Voodoo Rhythm hat vor allem über die Liveszene eine intensiv vernetzte, internationale Fangemeinde aufgebaut in einer Umgebung, die sich als Underground versteht und gewillt ist, zusammen durch dick und dünn zu gehen. Ähnliches gilt für die Dark-Wave-Band The Beauty of Gemina, die immer mal wieder im Programm eines britischen Insiderfestivals auftaucht. Gut im Rennen liegen zudem Musiker, die zwischen Jazz und Gegenwartsmusik vermitteln. Hier geniesst die Schweiz international einen hervorragenden Ruf – die Liste reicht von Nik Bärtschs Ronin und Mobile über das Basler Trio Vein und die Zürcher Post-Rocker Sonar bis zum Aargauer Komponisten Jürg Frey, der beim letztjährigen Huddersfield Festival of Contemporary Music als «composer in residence» waltete. Es dürfte kein Zufall sein, dass sie alle vornehmlich Instrumentalmusik servieren, deren Originalität von keiner Landes- und Kulturgrenze ausradiert wird.

Selbst wer diese schwierige Kurve gekratzt hat, kann nicht unbedingt auf ein Happy End setzen. Denn es gibt da auch noch ein Phänomen, welches der PR-Experte Chris Carr «die Oktopus-Arme der Brits» nennt: «Sie grapschen mit all ihren Armen nach Dingen, die sie interessieren, schnuppern ein bisschen dran und lassen sie wieder fallen.»

Ein bisschen Mühsal und pessimistische Perspektive hat aber natürlich noch nie einen idealistischen Musiker vom Träumen abgehalten. Darum die Frage: Was ist die beste Methode, im britischen Musikgeschäft als Ausländer Neugier und Engagement zu erwecken?

«Ein Problem mit der Schweiz liegt darin, dass man hier wenig über sie weiss, was über die üblichen Klischees hinausgeht», erklärt Chris Carr. «Es braucht eine Identitätsfigur, welche die Xenophobie im britischen Geschäft als Person oder mit Musik überwinden kann und an deren Schosszipfel andere Künstler folgen könnten. Wichtig ist auch, dass man vertrauenswürdige Leute in den Medien findet, die an die Sache glauben und aus eigenen Stücken gewillt sind, sie zu unterstützen.» Um solche Beziehungen anzuknüpfen reiche es nicht, ein- oder zweimal im Jahr die Bürorunde zu machen: «Um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, muss man häufiger und länger hier sein und unbedingt flexibel bleiben. Wenn sich kurzfristig eine Möglichkeit ergibt, muss man bereit sein, sofort zuzuschlagen.» Der namenlos bleiben wollende Labelmanager schickt seinen Ausführungen voraus, dass er allen Ausländern das Gleiche sagen würde, nicht nur Schweizern und Schweizerinnen, nämlich: «Man könnte so tun, als ob man britisch wäre. Die Briten sind kulturell allgemein sehr arrogant, und wenn es um Popmusik geht, sowieso.»

"Der sicherste Trick ist, einen paneuropäischen Radiohit zu landen. Dann hören auch die Briten zu."

Die Szene sei ausserordentlich dicht, es wimmle von jungen Bands, neue Songschreiber gebe es wie Sand am Meer. «Der sicherste Trick ist bestimmt der, einen riesigen, paneuropäischen Radiohit zu landen. Dann hören auch die Briten zu. Sonst aber würde ich Schweizer Bands raten, es zuerst mit einfacheren Territorien zu versuchen, Deutschland oder Benelux zum Beispiel.»

Wiederum kurz und bündig fasst sich Cooking-Vinyl-CEO Martin Goldschmidt: «Es ist besser, sich auf kleinere Labels wie Fat Cat zu konzentrieren. Und es ist sehr nützlich, wenn Künstler irgendwoher finanzielle Unterstützung für Marketing und Werbung bekommen, das mindert das Risiko der Labels und motiviert den Einsatz.» Donna Vergier vom Erfolgs-Indielabel Domino wartet mit folgendem Rat auf: «Oft live aufzutreten ist sehr wichtig, um eine loyale Fangemeinde aufzubauen. Dann erst, wenn der Auftritt hundertprozentig stimmt, wendet man sich an die Medien.» Und John McCook vom Konzertlokal «The Good Ship» in Kilburn: «Mehr denn je zählen heute die guten Beziehungen, was für Aussenseiter natürlich schwierig ist. Die Social Media stellen wohl die einfachste un billigste Methode dar, den Weg zu ebnen.» Cheers and good Luck!

 

Treffpunkt m4music

Von Philippe Schnyder von Wartensee,
Festivalleiter

Im Frühling 2017 findet das m4music zum zwanzigsten Mal statt. Doch für was steht das Popmusikfestival? Und was will das Migros-Kulturprozent mit ihm erreichen?

Als wir vor zwanzig Jahren das Grundkonzept von m4music ausarbeiteten, suchten wir Antworten auf eine einfache Frage: Was fehlt der Schweizer Musikszene am meisten?


Wir stellten fest: zuallererst ein Treffpunkt ohne Grenzen. Einer, der es jungen Musikern und Managern erlauben würde, die alten Hasen des Geschäfts kennenzulernen – und umgekehrt: Entscheidungsträger sollten neue Talente aufspüren. Ein Ort, an dem sich die sehr lokal organisierten Musikszenen jenseits des Kantönligeistes durchmischten und an dem das Ausland einbezogen würde, um den Export zu fördern. Ein Ort, wo stilistische Grenzen keine Rollen spielten und Wissen und Meinungen ausgetauscht würden. Wir wollten aber auch Agenda-Setting betreiben: Welche Fragen treiben die Musikszene um? So sollten Diskussionen unter Fachleuten angezettelt und gleichzeitig mithilfe der Medien in die Gesellschaft getragen werden.

Auch waren wir der Überzeugung: Schweizer Popmusik verdient mehr Aufmerksamkeit! Unser Musikprogramm in Kombination mit Marketing und Medienarbeit sollte möglichst vielen Schweizer Popgruppen eine Plattform bieten – nicht in einer Ghettosituation, sondern eingebettet in einen Kontext, der Popmusik gleichzeitig als lokales und globales Phänomen versteht. Deshalb verpflichteten wir von Beginn an auch ausländische Künstler.

Bei der ersten, bescheidenen Ausgabe von 1998 hatten wir die Bedürfnisse der Musikszene vor Augen und unsere Ziele betreffend Festival und Förderung fürs Erste gesteckt – aber keine Ahnung, welch langen Atem wir brauchen würden. Wir hatten eine Vision, die sich als zu grandios erweisen sollte: Zürich würde als Clubstadt brodeln, Musikprofis und -fans aus der ganzen Schweiz und dem Ausland würden zu Tausenden mit einem Ticket von einer Konzertlocation zur nächsten ziehen und Hunderte von spannenden Bands aus der ganzen Schweiz und dem Ausland auschecken, und zwar stilübergreifend – was vor zwanzig Jahren alles andere als eine Selbstverständlichkeit war.

Aber wir mussten bald feststellen: Es hatte niemand auf uns gewartet. In den ersten Jahren stiessen wir oftmals auf Skepsis: Was sucht die Migros in der Popmusikszene? Im musikalischen Underground, wo die neuen Bands herkommen? Warum will sie in die Clubs? Warum sollten Genfer, Berner und Basler sich in Zürich treffen – wo doch auch diese Stadt sich selbst genügte? Warum Konzerte mit anderen Stilen besuchen, die einem fremd waren? Warum schliesslich sollte jemand aus dem Ausland ein Festival besuchen, das nicht einmal die Schweizer Szene vereinen konnte?

Der digitale Wandel, der drauf und dran war, die Musikwelt nachhaltig zu verändern, wurde im Frühling 1999 zu einem wichtigen Thema. In diesem Jahr wurde die m4music-Conference zum ersten Mal durchgeführt – ein Ort, an dem genau dieser Wandel und andere Aspekte der Popmusikproduktion diskutiert werden. In den ersten Jahren wurden wir von den etablierten Musikmanagern ausgelacht: «MP3s? Napster? Das bringt doch nichts – wir machen Gold mit CDs! Warum Zeit mit Internetnerds verschwenden?»

Immerhin, die Newcomer schätzten den offenen Geist von m4music von Beginn an. Als wir 1999 bei der zweiten Festivalausgabe erstmals die Demotape Clinic durchführten, wurden wir vom Erfolg überrumpelt. Statt wie vermutet rund dreissig Bands wünschten sich einige Hundert ein Feedback von einer Profijury auf ihre Demosongs! Seither haben sich jedes Jahr zwischen sechs- und neunhundert Bands für die Demotape Clinic angemeldet und rund dreihundert Musikprofis aus den Sparten Pop, Rock, Urban und Electronica haben sich über die Jahre als Juroren zur Verfügung gestellt. Zur Grundidee – Feedback von Profis an die Newcomer und gegenseitiges Kennenlernen – sind Förderpreise und Promotion dazugekommen. So konnte die Berner Rapperin Steff la Cheffe ihre Karriere mit dem Preis «Demo of the Year 2009» begründen. Wir sind gespannt, wie sich etwa die Gewinnerin von 2016, Veronica Fusaro, entwickeln wird.

Wir waren immer der Ansicht, dass der Grundstein für ein Förder- und Netzwerkfestival nicht ein voller Geldbeutel und ein fettes Marketingbudget sein dürfen. Viel wichtiger sind uns Offenheit und Partnerschaften. Und so bauten wir das Festival auf, langsam, aber stetig: mit Partnern aus der Musikszene, aus der Kulturförderung, aus den Medien. Aus Zürich, aus der Region, aus der Schweiz, schliesslich aus dem Ausland. Gleichzeitig beschränkten wir uns auf ein starkes Zentrum: den szeneneutralen Schiffbau mit den Clubs Moods und Exil. Von Anfang an schenkten wir den Beziehungen zur Romandie besondere Aufmerksamkeit. Hier gab es eine spannende Musikszene zu entdecken, die in der deutschsprachigen Schweiz nur wenig bekannt war. Es war uns daher ein Anliegen, m4music als nationales Projekt aufzugleisen. Die Romands begrüssten zu unserem Erstaunen Zürich als Ort des Festivalzentrums, denn sie machten hier die Musik- und Medienhauptstadt der Deutschschweiz aus. m4music bot ihnen eine «porte d’entrée», eine Eingangstüre in den Musikmarkt auf der anderen Seite des Röschtigrabens. Trotzdem war es uns wichtig, ein Zeichen zu setzen. 2010 eröffneten wir das Festival zum ersten Mal in Lausanne. Vier Jahre später konnten wir mit den Radiopartnern Couleur 3 und VIRUS ein Erfolgsrezept kreieren: die Liveübertragung von Showcase-Konzerten aus dem Lausanner Radiostudio von RSR in fast die ganze Schweiz. Fester Programmbestandteil: mindestens eine Band, die wir im Vorjahr in der m4music-eigenen Demotape Clinic entdeckt hatten.

Im Wissen, dass Popmusik seit jeher lokal und global gleichzeitig ist, haben wir uns immer auch mit ausländischen Musikszenen, Festivals und natürlich der Förderung von Musikexport beschäftigt. So waren wir 2003 bei der Gründung von Swiss Music Export (SME) massgeblich beteiligt. Das Migros-Kulturprozent gehört auch heute noch zu den Trägerorganisationen und m4music pflegt eine enge Partnerschaft mit SME. Zusammen laden wir ausländische Booker, Labelmanager und Medienschaffende ein, die sich am m4music intensiv mit Schweizer Popmusik beschäftigen, bei Networkinganlässen, Panels und Konzerten. Der Achse Zürich–Berlin kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu. Deutschland ist der grösste Exportmarkt für Schweizer Musik und Berlin eine Kreativmetropole mit Platz für Nischen. Aber auch dort wird zunehmend Englisch gesprochen: Gerade die Kreativszenen funktionieren zunehmend ungeachtet nationaler und sprachlicher Grenzen, befeuert durch die umfassenden Möglichkeiten der digitalen Produktion und Kommunikation.

Im Vorfeld der zwanzigsten Ausgabe dürfen wir feststellen: m4music hat einen guten Ruf erlangt. Oder wie Stephan Thanscheidt, Festivalbooker und inzwischen auch Geschäftsführer des grossen Veranstalters FKP Scorpio Konzertproduktionen, im Festivalvideo 2011 zu Protokoll gab: «Ich bin sehr gerne hier und habe auch schon sehr viele gute Bands gesehen.» Das Festival ist tatsächlich ein wichtiger Treffpunkt für die Popmusikszene geworden, wo Ideen diskutiert und Bands ausgecheckt werden. Hier konzentriert das Migros-Kulturprozent zudem seine Förderung im gesamten Bereich der Popmusik: die Schwerpunkte Newcomerförderung mit der Demotape Clinic, Struktursupport durch die Indielabel-Förderung und Unterstützung für Videoclips, u.a. mit dem Programm Best Swiss Video Clip, finden hier ihre Öffentlichkeit. Die Grundabsicht der Förderung: Die fortschreitende Professionalisierung der Musikszene zu unterstützen und die Themen, die sie beschäftigt, in die Öffentlichkeit zu tragen.

Wir danken der Musikszene und den Partnern, dass sie uns ihr Vertrauen schenken und aktiv am m4music mitwirken. Denn nur im Verbund aller Beteiligten entwickelt das Festival die Kraft, die seine Existenz legitimiert und der Szene dient. Wir sind uns zudem bewusst, dass auch in Zukunft Herausforderungen auf uns warten. Wie die anderen Festivals müssen wir uns Fragen der Wirtschaftlichkeit stellen: Wie hoch können die Kosten für Infrastruktur, vor allem aber für die Gagen von angesagten Bands steigen? Lassen sich überhaupt passende Headliner finden? Hier herrscht seit Jahren ein Druck auf der ganzen Veranstalterszene, der tendenziell immer noch zunimmt.

Als Förderfestival beschäftigen uns zudem weiterhin die zentralen Fragen: Wie verändern sich die Bedürfnisse der Schweizer Popmusikszene? Was müssen wir tun, um effizient und möglichst nachhaltig zu fördern?

Und natürlich fragen wir uns grundsätzlich: Wohin geht die Reise? Der digitale Wandel wird uns weiterhin beschäftigen. Wir können spekulieren: Das Auswerten von Daten wird uns neue Möglichkeiten bescheren, etwa Erkenntnisse über den Geschmack unserer Festivalbesucher. Wir werden uns vielleicht auch fragen, wie weit m4music in die digitale Welt expandieren soll: Die virtuelle Realität könnte neues Publikum rund um den Globus erschliessen.

Zahlen und Fakten

Von Philippe Schnyder von Wartensee

Die Musik hat in der Schweiz eine wichtige soziale, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung. Dabei ist die Popmusik mit ihrer ganzen stilistischen Breite von Rock über Rap bis zu Electronica das – wie es der Name vermuten lässt – weitaus populärste Genre. Die folgenden Fakten und Zahlen zur Musik in der Schweiz beziehen sich, wo nicht anders bezeichnet, zwar auf die Gesamtheit aller Sparten, sind aber von der Popmusik besonders geprägt.

«Musik ist allgegenwärtig: 20% der Bevölkerung spielen ein Instrument und etwa 16% singen», schreibt die SUISA, die schweizerische Urheberrechtsgesellschaft. Die Genossenschaft selbst verzeichnete 2015 über 35000 Mitglieder und einen Umsatz von fast 152 Millionen Franken. Wichtigste Lizenznehmerin ist die SRG, die rund 33 Millionen Franken zum Ergebnis beisteuert.

Die gesamte Schweizer Musikwirtschaft erzielte im Jahr 2013 gemäss dem Report «Von der Kreativwirtschaft zu den Creative Economies – Kreativwirtschaftsbericht Schweiz 2016» einen Umsatz von 1,836 Milliarden Franken und beschäftigte in 9 915 Betrieben 30 862 Personen. Mit einem Anteil von über elf Prozent der Beschäftigten in der Kreativwirtschaft bildete die Musikwirtschaft den drittwichtigsten Teilmarkt und wurde nur vom Architekturmarkt (zwanzig Prozent) und der Software- und Gamesindustrie (fünfzehn Prozent) übertroffen. Nur die wenigsten dieser Beschäftigten sind Musiker oder Komponisten. Die meisten arbeiten im Umfeld der Künstler als Tontechniker, Manager, Booker, Labelmanager, Verleger, Promoter, Veranstalter, Grafiker, Videoregisseur oder Social-Media- und Internetspezialist. Sie alle bilden ein Ökosystem mit vielen Anknüpfungspunkten zu anderen Kultur- und Wirtschaftssparten.

Überhaupt nicht erfasst in dieser Statistik sind Tausende von Menschen, die Popmusik als Hobby betreiben. Die Keller dieses Landes werden von Tausenden von Bands und Homestudioproduzenten bevölkert, ständig streben neue DJs hinter die Mischpulte, Hunderte von Gesangstalenten melden sich für Castingshows, unzählige betätigen sich als Organisatoren und Helfer im Hintergrund. Allein das Paléo Festival in Nyon verzeichnete 2015 rund fünftausend Freiwillige. Obwohl sie nicht als «Beschäftigte» gelten, weil sie keine Entlöhnung beziehen, steuern sie doch massgeblich zur Vielfalt der Popkultur bei.

Der Musikmarkt ist in der Schweiz im Vergleich zum Ausland klein, aber dank der starken Kaufkraft der Bevölkerung im Verhältnis relativ gross. Gemäss IFPI (International Federation of the Phonographic Industry) lag die Schweiz 2015 auf Platz vierzehn, was den Verkauf von physischen Tonträgern betrifft, und auf Platz neunzehn für digitale Formate. Der Umsatz belief sich insgesamt auf knapp 82 Millionen Franken – gerade noch 26 Prozent im Vergleich zum Rekordergebnis des Jahres 2000, als im goldenen CD-Zeitalter 312 Millionen Franken erzielt wurden. Die zunehmende Marktdurchdringung von Musikstreamingdiensten wie Youtube, Spotify und Apple Music schürt allerdings die Hoffnung, dass die Talsohle nun erreicht worden ist.

Keine Umsatzeinbussen hat die digitale Umwälzung den Eventveranstaltern gebracht – im Gegenteil. Der Branchenverband der Schweizer Konzert-, Show- und Festivalveranstalter vermeldete auch für 2015 eine Steigerung der Besucherzahlen um 3,8 Prozent zum Vorjahr. Die 35 Mitglieder, die nach eigenen Angaben über achtzig Prozent der in der Schweiz verkauften Tickets stellten, verzeichneten rund 358 Millionen Umsatz und knapp 5,2 Millionen Besucher bei 1 700 Veranstaltungen, für welche 2800 Künstler verpflichtet wurden. Die SMPA hat ihre Zahlen mit folgenden Worten kommentiert: «Die Schweizer Unterhaltungsbranche wächst noch, aber die Wachstumskurve flacht ab.» Zunehmende Sorge bereiten die Zweitvermarktung von Tickets und die ständig steigenden Kosten, verursacht etwa durch wachsende Gagenforderungen der Headliner. So berichtete das Open Air St. Gallen 2015, die Gagen hätten sich in den letzten fünf Jahren um dreissig Prozent auf rund zwei Millionen Franken erhöht.

Nur wenige Marken aus der Schweizer Musikwelt haben weltweite Ausstrahlung erlangt: Die bekanntesten dürften das vor fünfzig Jahren gegründete Montreux Jazz Festival und das Lucerne Festival sein. Aufseiten der Künstler haben Yello und DJ Bobo eine gewisse Bekanntheit erlangt. Es ist wohl kein Zufall, dass die Rangliste der global bekannten Schweizer Brands von Veranstaltungsorten und nicht von Künstlern angeführt wird. Die Schweiz ist bekannt als diskretes Gastgeberland mit hoch entwickeltem Service. Sie verfügt zudem über eine reiche Tradition an Festen und Feiern aller Art, an denen Musik oft eine zentrale Rolle spielt. Weniger entwickelt sind hingegen die Industrien, welche Künstler und Showstars aufbauen und vermarkten – ein Geschäft, das von angelsächsischen Firmen dominiert wird, die global agieren. Immerhin zeichnet sich ab, dass lokale Programmmacher zunehmend auf einheimische Künstler zurückgreifen: Das zeigt sich sowohl bei SRF, wo der Anteil von Schweizer Musik in den SRG-Radioprogrammen dank freiwilligen «Quoten» seit 2004 von rund zehn auf über zwanzig Prozent angewachsen ist, wie auch bei der SMPA, wo sich die Anzahl verpflichteter Schweizer Künstler zwischen 2011 und 2015 mehr als verdoppelt hat. Von solchen Entwicklungen dürfte die ganze Schweizer Musikszene profitieren, welche ihrerseits vermehrt den Export in ausländische Musikmärkte sucht.

Einzelne Künstler haben sich buchstäblich selbst exportiert. Angesagteste Destination ist weder London noch New York, sondern Berlin. Hier wirken der Berner Tobias Jundt als Bonaparte und das Künstlerpaar Joy Frempong und Marcel Blatti als Oy. Erfolg verzeichnet auch Valeska Steiner aus Zürich, die sich in Hamburg eine Karriere mit ihrer Band Boy aufgebaut hat. Die Wahl deutscher Metropolen ist kein Zufall: Der deutsche Musikmarkt ist rund zehn Mal grösser als derjenige der Schweiz und dank seiner geografischen und kulturellen Nähe der wichtigste Exportmarkt für Schweizer Künstler. Eine gute und aktuelle Übersicht über Schweizer Bands auf Tournee wie Sophie Hunger, Klaus Johann Grobe oder Bastian Baker bietet die Website http://swiss-music-export.com/on-tour von Swiss Music Export, dem Verein zur Förderung des Exports von Schweizer Popmusik.

Glossar

Von Hanspeter Künzler

Eine nicht abschliessende Liste von Begriffen zur Orientierung im zeitgenössischen Popzirkus.

Album

In den Augen der Musikfans alter Schule bleibt die Langspielplatte – das mit 33 1/3 Touren pro Minute abgespielte Vinylalbum – das perfekte Format für den wahren Musikgenuss. Nach langem Experimentieren lancierte Columbia Records 1948 eine Serie von 12-Inch-Tonträgern, mit denen sich das Format durchsetzte. Mit ihren rund zwanzig Minuten Spielzeit hat es auf einer Plattenseite Platz für eine halbe Sinfonie, sechs Popsongs oder ein Progressive-Rock-Epos. Weil die Platte nach zwanzig Minuten umgedreht werden muss, bleibt das Hören ein bewusster Akt. Der Begriff des Albums wird auch für CDs und in der digitalen Zeit weiter verwendet. Allerdings entfällt hier die Pause nach zwanzig Minuten, weshalb die Songs der zweiten Albumhälfte oft weniger Aufmerksamkeit erhalten. Das Downloading individueller Stücke hat das Albumformat nicht überflüssig gemacht. Liebhaber schätzen daran weiterhin die Möglichkeiten einer feinen Dramaturgie.

Apps
App ist die Abkürzung von «Application Software». Gemeint sind Computerprogramme, die wenig Platz brauchen und als Zusatz eines jeweiligen Betriebssystems bestimmte Funktionen bearbeiten oder überhaupt erst ermöglichen. Beliebte Musikapps sind etwa Shazam, mit denen auch Laien erkennen können, welches Lied vom Radio, in der Bar oder dem Club gerade abgespielt wird.

Backstage
Unter backstage verstehen Experten die Räumlichkeiten hinter der Bühne, in welchem sich Künstler, Roadies, Securityleute, Plattenfirmenmanager und andere aufhalten, wenn auf der Bühne gerade nichts passiert. Hier tummelten sich früher auch die legendären Groupies, Mädchen und junge Frauen, die mehr als ein Autogramm von den (männlichen) Musikern wollten. Heute ist auch das Backstageareal monetarisiert worden: Spezialtickets berechtigen Fans zum Meet and Greet mit den Idolen, ehe sich diese zum Mineralwasser in den Tourbus zurückziehen.

Bandcamp
Bandcamp ist eine vor allem unter unabhängig operierenden Künstlern populäre Onlineplattform, die es Musikern ermöglicht, einzelne Stücke oder ganze Alben hochzuladen, die von Konsumenten gratis oder gegen Bezahlung (fünfzehn Prozent des Erlöses geht an Bandcamp) heruntergeladen werden können. Zudem können Biografien und andere Texte präsentiert werden. Bandcamp selber schafft zusätzliche editoriale Inhalte.

Blog, Website
Das Internet hat individuelle Journalisten, Kommentatoren, Fans und selbst ernannte Spezialisten und Kenner aus der editorialen und physischen Abhängigkeit der herkömmlichen Medien befreit. Jede und jeder kann problemlos und billig eigene Seiten einrichten und sich nach Lust und Laune über Lieblingsthemen auslassen. Besonders populär sind Blogs aka Weblogs: ein öffentliches Notizbuch mit Tagebuchcharakter, wo mehr oder weniger regelmässig Erlebnisse, Meinungen und Theorien aller Art festgehalten werden.

Booking
Die Aufgabe eines Bookingagenten besteht darin, für die mit seiner Agentur verbundenen Künstler Tourneen, Festivals und andere Auftrittsmöglichkeiten zu finden, Vertragsverhandlungen zu führen, Gagen einzutreiben, Reisepläne zu koordinieren und Promoarbeit zu leisten. Es ist essenziell für einen jungen Künstler, einen gewieften und enthusiastischen Bookingagenten zu finden.

Club
Mit der Bezeichnung Club kann eine Lokalitiät oder eine Veranstaltung gemeint sein. Ein Club (Lokalität) ist meistens eher intim und pflegt einen bestimmten Hausstil. Solche Lokale können an Promoter vermietet werden, die einmalig, wöchentlich oder monatlich ihren eigenen Club (Veranstaltung) aufziehen, welcher dem von ihnen gewählten Musikstil und Lifestyle gewidmet ist. Speziell im Bereich Techno können «Club Nights» auch in gross dimensionierten Hallen stattfinden.

Exportförderung
Der globale Erfolg von ABBA zeigte, dass es auch für Länder am Rande der Popwelt möglich ist, das angelsächsische Hitparadendiktat zu durchbrechen. Erst in den Neunzigerjahren verbreitete sich indes die Idee, den Export von Popprodukten systematisch zu fördern. Als Erstes trat das Bureau Export de la Musique Française auf den Plan, das von der Politik des Kulturministers Jack Lang profitierte. 2003 gründeten Migros-Kulturprozent, Fondation SUISA und Fondation CMA gemeinsam Swiss Music Export. SME unterstützt Auslandauftritte und Tourneen von Schweizer Künstlern finanziell und organisiert Showcases sowie Networking-Events an Festivals und Konferenzen.

Gagen
Die Gage ist das Honorar, welches Künstler für einen Auftritt erhalten. Madonna, die Rolling Stones und Dave Matthews stecken pro Auftritt eine Million US-Dollars ein, Bob Dylan bringt es auf ein Viertel davon. In Grossbritannien, wo die Konkurrenz besonders gross ist, treten viele Bands für Ehre, Bier und Spesen auf. Wer als Vorgruppe mit einem namhaften Künstler auf Tour gehen will, zahlt sogar mächtig drauf – ausser er wird vom Star persönlich eingeladen wie im Fall von Spiritualized und den Berner Psychedelikern Roy & The Devil’s Motorcycle.

Indie
«Indie» steht für «Independent» – unabhängig. Damit sind Plattenfirmen gemeint, die abseits der dominierenden «Majors» operieren. Meistens stehen hinter einem Indielabel Einzelpersonen, deren Philosophie das Programm prägt. Indies wie Sun, Atlantic oder Rough Trade haben die Musikgeschichte nachhaltig beeinflusst, denn mit ihrer überschaubaren Infrastruktur konnten sie rasch auf einen neuen Trend eingehen. Seit den Neunzigerjahren bezeichnet der Begriff auch einen Stil, nämlich poppiger Gitarrenrock, der auch ins Experimentelle gehen mag, jedoch keine Spuren von Heavy Metal aufweist.

Musikstile
Im Grunde möchte jeder Musiker seine eigene, unverwechselbare Stilikone sein. Dabei ist jeder Musikstil ein Eintopf mit Zutaten aus allerhand anderen Stilrichtungen, die durch eine bestimmte kulturelle Situation zusammengeführt worden sind. Je mehr Protagonisten einen frisch aus der Szene geschlüpften Stil übernehmen, desto grösser wird die Zahl jener Künstler, die sich mittels Beimengung anderer Elemente vom Mainstream absetzen wollen – und schon ist ein neuer Stil geboren, für den es auch eine neue Bezeichnung – sprich: Marketingschublade – braucht. Die Beispiele reichen von Rock ’n’ Roll bis Shoegaze, von Trap bis Indie, von Math-Rock bis Art-Rap etc. Daraus resultiert ein babylonisches Schlaraffenland für Pedanten, Besserwisser und Hyper-Hipster.

Plattenlabel
Wörtlich bedeutet «Label» Etikett, also die Marke, unter welcher eine Plattenfirma ihre Erzeugnisse verbreitet. Mitunter werden diese Firmen selber «Labels» genannt, etwa dann, wenn die Rede ist von den drei verbliebenen «Major Labels» Sony Music, Universal und Warner (im Gegensatz zu den unabhängigen «Indies»). Diese drei Konzerne führen viele unterschiedlich ausgerichtete Unterlabel, was die gezielte Vermarktung vereinfacht.

Playlist
Die Playlist ist das Internetpendant zum alten Mixtape: Eine Sammlung von thematisch oder stilistisch gebündelten Songs, die auf dem Computer oder auf einem Streamingservice gespeichert wird. Der Begriff wurde vom hitparadenorientierten Radio übernommen, wo ein Komitee entscheidet, welche (neuen) Songs wann wie oft in welches Programm aufgenommen werden sollen. Ein Song, der es nicht auf die Playlist schafft, ist zum Absturz verurteilt. Playlist-Komiteemitglieder sind nicht immer unbestechlich. Der Fachbegriff hierfür heisst «Payola» und steht für «pay for play».

Promo
Promo, kurz für Promotion, ist die Kunst des überzeugenden Schwätzens. Viele Plattenfirmen ziehen freischaffende Promoagenten zur Hilfe, wenn diese über spezielle Verbindungen zu einer bestimmten Szene verfügen. Es ist die Aufgabe der Promoabteilung, Printmedien, Radio, TV und Blogs von den Qualitäten eines neuen Produktes zu überzeugen. Früher geschah dies oft über den Weg von Werbegeschenken. Bei den heutigen beschränkten Budgets bleibt häufig nur noch das Anpreisen in den Medien via Public Relations, sprich: eben das Schwätzen.

Radio: «Sounds!»
Konzipiert als «Sendung, die uns vor dem Fernsehprogramm rettet», hält «Sounds!» noch heute das Versprechen, das die Macher von Schweizer Radio im Jahre 1976 ablegten. Anfangs über DRS 2, ab 1983 auf dem neugegründeten Service-Pop-Public-Sender DRS 3 (heute SRF 3), serviert «Sounds!» montags bis freitags von 22 Uhr bis Mitternacht kühne neue Klänge, wie sie in der restlichen Radiolandschaft nirgends Unterschlupf finden würden.

Single
Eine Single im klassischen Sinne ist eine sich mit 45 Touren drehende 7-Inch-Vinylscheibe mit je einem Song auf der A- und der B-Seite. Von RCA Victor 1949 lanciert, wurde die billig zu produzierende, transportierende und die Jukebox möglich machende Single zum tragenden Element des US-Teenage-Booms und später der Popwelt überhaupt. Der englische «New Musical Express» lancierte 1952 die ersten Charts («Hitparade»), die nur auf Verkaufsziffern basierten. Singles sind oft ein Werbejingle fürs Album, von dem sie ausgekoppelt sind. Die digitale Single ist gewöhnlich ein einzelner Track zum Downloaden. Die Punks popularisierten die mit abenteuerlicher Grafik versehene Do-It-Yourself-Single – ein Phänomen, das heute eine freudvolle Renaissance feiert.

Smartphone, Tablet
Ein Smartphone unterscheidet sich vom alten Handy, indem hier nicht mehr das Telefonieren im Mittelpunkt steht. Vielmehr dient es als mobiles Büro samt zahllosen Möglichkeiten, sich via Internet von der Arbeit ablenken zu lassen. Ein Tablet ist in seiner Essenz ein grösseres Smartphone. Kernstück jedes Smartphones ist der berührungsempfindliche Bildschirm, der die Maus ersetzt. Erste Smartphones kamen in den mittleren Neunzigerjahren auf den Markt. Das 2007 von Apple lancierte iPhone revolutionierte sowohl den Handymarkt als auch den mobilen Internetgebrauch. Gemäss aktueller Studien erfolgt heute der Grossteil der Internetzugriffe mobil via Smartphone und nicht mehr vom Computer aus. Wer sein Publikum erreichen will, muss mobile Angebote haben. Das gilt für Bands, Vermittler, Promotoren, aber auch für Musikplattformen.

Social Media
Als Social Media gelten meist kostenlose digitale Plattformen, die es den Benutzern erlauben, sich miteinander öffentlich oder im geschlossenen Kreis auszutauschen. Zu dieser Kategorie zählen Blogs wie der Mikroblog Twitter, soziale Netzwerke wie Facebook, SoundCloud oder die Plattform Linkedin für berufliches Networking, inhaltlich gebündelte Austauschplattformen wie Youtube oder die Foren von Fancommunities aller Art sowie Gamezirkel wie «World of Warcraft». Instagram erlaubt das Teilen von Fotos und Videos, Snapchat lässt eine bestimmte Aufnahme beim Empfänger nur ein paar Sekunden lang aufblitzen.

Spotify
Die 2008 in Schweden lancierte Streamingplattform Spotify erlaubt es, durch Copyright geschützte Musik anzuhören, in Playlists zu organisieren und in weiten Teilen der Welt über das Internet abzurufen. Zahlende Abonnenten haben werbefreien Zugang zum Angebot, Gratisbenutzer sind Beschränkungen unterworfen (das Freemium-Modell). Aus Protest gegen die mikroskopischen Tantiemen oder die Soundqualität haben diverse Künstler wie Neil Young die Verwendung ihrer Musik gestoppt. 2014 wurde das amerikanische Konkurrenzunternehmen Tidal gegründet, zu deren Besitzern Jay Z, Béyonce und Jack White gehören. Tidal verspricht bessere Soundqualität, grössere Tantiemen und exklusives Material. 2015 lancierte Apple seinen Streamingdienst Apple Music.

Streaming / MP3
Streaming nennt man den Vorgang der Online-Übertragung von digitalisierten Video- und Audiodaten. «Streaming Services» wie Youtube, SoundCloud, Spotify, Deezer und Tidal bieten eine breite Palette von Musikstücken an, mit denen der Konsument je nach Bündel gratis oder im Abonnement sein eigenes Digital-Radioprogramm abrufen kann. Damit das Verschicken und Abrufen von Sounds in dieser Art möglich ist, ist es erforderlich, diese in digitale Softwarecontainer zu verpacken. Zu den populärsten solcher Container gehören MP3 und wave (.wav). MP3 reduziert die zu transportierende Datenmenge, indem Klänge, die das Ohr höchstens ganz knapp hören kann, eliminiert werden. Wave dauert zum Herunterladen länger, gibt dafür ein breiteres Klangspektrum wieder und entspricht der Qualität, die wir von CDs kennen.

Tonträger
Unter einem Tonträger versteht man gemäss Duden eine «Vorrichtung zur Aufnahme und Speicherung akustischer Vorgänge». Als ersten massenproduzierten Tonträger stellte Thomas Alva Edison 1888 die Wachswalze vor. Seither sind in immer kürzeren Abständen immer «revolutionärere» Tonträger auf den Markt geworfen worden. Es gehören dazu die Tonfolie, die Vierspur-Endloskassette, die 8-Spur-Kassette und die digitale Mini-Disc. Nebst Vinylplatten, CDs und Blu-Ray müsste gemäss obiger Definition jedes digitale Speichermedium als Tonträger gelten.

Tour
Wie die Tour de Suisse besteht eine Rock- und Poptour aus seiner Serie von endlosen Wartereien und mühseligen Fahrten, gefolgt von der Erlösung, wenn am Abend endlich ein Bier genossen und das Tanzbein geschwungen werden darf. Früher gingen Künstler auf Tournee, um Werbung für neue Tonträger zu machen. Inzwischen sind Tonträgerverkäufe weniger wichtig; an deren Stelle sind die Liveauftritte und damit auch die Touren getreten. Touranekdoten sind der Grundstoff von Legenden. Als Lehrmittel seien die Filme «This Is Spinal Tap» und «Anvil! The Story of Anvil» empfohlen.

Urheberrecht – Copyright
Unter Urheberrecht (aka Copyright) versteht man das Recht des Urhebers eines kreativen Werks, vor dem teilweisen oder kompletten Diebstahl dieses Werkes gesetzlich geschützt zu werden. Dieses Recht wird von Land zu Land verschieden (da und dort gar nicht) geregelt. Das Eintreiben von Tantiemen, die zum Beispiel für das Abspielen von Musik am Radio fällig sind, wird von Verwertungsgesellschaften koordiniert. Eine frühe Form des Copyrights wurde in England im Jahr 1662 eingerichtet. Mit der Verbreitung des Internets und der Möglichkeit, Musik, Bücher, Filme usw. einfach und kostenfrei auszutauschen, ist ein Überdenken des Konzeptes dringend nötig geworden.

Verwertungsgesellschaften
Verwertungsgesellschaften sind privat geführte Organisationen gewerkschaftlicher Natur, welche die Einhaltung der gesetzlich festgehaltenen Schutzrechte im Zusammenhang mit künstlerischer Arbeit überwachen. Sie sorgen für das Eintreiben und die Ausschüttung der dadurch aufgeworfenen Gelder. In der Schweiz sind dies SUISA (Urheberrechte im Bereich Musik), Suissimage (audiovisuelle Werke), Pro Litteris (Literatur, Journalismus, Fotografie), Swissperform (Leistungsschutzrechte), SSA (wort- und musikdramatische sowie audiovisuelle Werke) und IFPI (Musikclips, im Auftrag von Swissperform und Suissimage).

Videoclip
Die Wurzeln der heutigen Videoclipkultur reichen in die Achtzigerjahre zurück, als die rasante Verbreitung billiger, digitaler Produktionsmittel die Herstellung von Videos erschwinglich machte. 1981 trat zudem der auf Musik spezialisierte Fernsehsender MTV in Aktion. Der Erfolg von Bands wie Culture Club, Soft Cell oder Tears for Fears in den USA zeigte, dass mithilfe eines knackigen Videos – im Grunde ein besserer Werbejingle – auch solche Songs in Massen verkauft werden konnten, die nicht in die gängigen Vermarktungsschubladen passten.

Youtube
Youtube ist eine im Jahr 2005 in Kalifornien gegründete Plattform, die es erlaubt, gratis Videoclips hochzuladen, anzuschauen und zu kommentieren. Der Inhalt ist usergeneriert, das heisst, dass die Benutzer selber die Videos hochladen. Der Service wird über Werbung und ein bisher noch beschränktes Abonnementangebot finanziert und soll über eine Milliarde Benutzer haben. Die Plattform hat sich zum wichtigsten Medium zur Verbreitung neuer (und alter!) Populärmusik entwickelt und mit der Videoclipkultur ein neues Popphänomen ermöglicht. Die Youtubekanäle von Justin Bieber und Rihanna verzeichnen über zwanzig Millionen Benutzer. Andere Youtubestars verdienen mit Make-Up-Tutorien, witzigen Blogs und Videos, Comedysketches oder politischen Kommentaren Millionen. Viele Nutzer brauchen Youtube nicht mehr nur als Video-, sondern auch als Audiokanal.

Literatur

Handbücher

Action CH-Rock / Kari Zbinden (Hrsg.): Action Rock Guide – Das Schweizer Rockhandbuch. Wabern 1996.

Wegener, Poto: Musik & Recht. Josef Keller Verlag, Starnberg und München 2003.

Raschèr, Andrea F. G. / Mischa Senn (Hrsg.): Kulturrecht, Kulturmarkt. Dike, Zürich / St.Gallen 2012.

 

Übersichtsdarstellungen: Allgemeine Fragen, Förderpolitik, Geschäftsmodelle

Baumgartner, Heinrich; Spoerri, Bruno; Steuler, Christian: Wie die Welt in die Schweiz kam. Gloablisierung der Musikkultur in der Schweiz. Credit Suisse, Pro Litteris, Zürich 2006.

Dredge, Oliver / Gardel, Sylvain: Ziele und Instrumente staatlicher Pop/Rock-Förderung. Ein Vergleich zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Universität Basel, Masterprogramm Kulturmanagement 2004. https://kulturmanagement.unibas.ch/fileadmin/user_upload/redaktion/DA_Brosch_re_Gruppe_Dpdf.pdf

Facon, Eric: Für einmal Nummer 1. In: Schindler, Anna / Reichenau, Christoph: Zahlen, bitte! Kulturbericht 1999. Reden wir über eine schweizerische Kulturpolitik. Bundesamt für Kultur, Bern 1999.

Bühler, Michael / Schnyder von Wartensee, Philipp: Musikmarkt. In: Raschèr, Andrea F. G. /  Senn, Mischa (Hrsg.): Kulturrecht, Kulturmarkt. Dike, Zürich / St.Gallen 2012.

Gasser, Michael: Hartnäckigkeit, Engagement und Glück. In: Ambühl, Didier (Hrsg.): Swiss Music Guide 2011. Delight Factory, Lausanne 2011.

Grassegger, Hannes: Die Pop-Streber. Neue selbstbewusste Schweizer Bands zielen mit ihrer Musik auf den Weltgeschmack. In: Das Magazin 18, Zürich 2011.

Kohler, Dieter: La Welsch Music. Chanson, Pop und Rap aus der Westschweiz. Christoph Merian Verlag, Basel 2006.

Luchsinger, Nico: Die Masse als Label – Kollektive Finanzierung als Zukunftschance? In: Ambühl, Didier (Hrsg.): Swiss Music Guide 2011. Delight Factory, Lausanne 2011.

Lüthi, Nick: Die neue Unübersichtlichkeit im Netz der Plattformen. In: Ambühl, Didier (Hrsg.): Swiss Music Guide 2010. Delight Factory, Lausanne 2010.

Merki, Christoph (Hrsg.): Musikszene Schweiz. Begegnungen mit Menschen und Orten. Chronos Verlag, Zürich 2009.

Museum für Kommunikation / Mumenthaler, Samuel / Stadelmann, Kurt (Hrsg.): Oh Yeah!: 200 Pop-Photos aus der Schweiz, 200 photos pop de Suisse, 1957–2014. Chronos Verlag, Zürich 2014.

Niessner, Leo: Wer nicht spurt, geht leer aus. In: Ambühl, Didier (Hrsg.): Swiss Music Guide 2009. Delight Factory, Lausanne 2009.

Schmuki, Fabienne: DIY or don’t. How to Survive in Switzerland as an Independent Music Artist. https://www.zhdk.ch/index.php?id=40839. Essay in gekürzter Form auch hier: http://www.nzz.ch/feuilleton/musik/selbstausbeutung-analog-und-digital-1.18133477

Schnyder von Wartensee, Philipp: «Pop ohne Grenzen». In: Graber, Hedy / Landwehr, Dominik /  Sellier / Veronika (Hrsg.): Kultur digital – Begriffe, Hintergründe, Beispiele. Christoph Merian Verlag, Basel 2011.

Schnyder von Wartensee, Philipp: Beats, Bytes and Copyrights. In: Migros-Kulturprozent / m4music (Hrsg.): Swiss Music Directory 1. Der neue Schweizer Musikbranchenführer. Migros-Kulturprozent, m4music, Zürich 2001.

Ritschard, Patrick: «And the Winner is …» In: Ambühl, Didier (Hrsg.): Swiss Music Guide 2008. Delight Factory, Lausanne 2008.

Schräder, Adrian: Schöne, neue Streaming-Welt. In: Ambühl, Didier (Hrsg.): Swiss Music Guide 2012. Delight Factory, Lausanne 2012.

Schräder, Adrian: Von Malern, Bäckern und Bodenlegern – Was Artist Development im Jahr 2013 bedeutet. In: Ambühl, Didier (Hrsg.): Swiss Music Guide 2013. Delight Factory, Lausanne 2013.

Spoerri, Bruno (Hrsg.): Musik aus dem Nichts. Die Geschichte der elektroakustischen Musik in der Schweiz. In Zusammenarbeit mit dem ICST Institute for Computer Music and Sound Technology Zürich. Chronos Verlag, Zürich 2010.

Weber, Julian: «Downloading Saves Music»? In: Ambühl, Didier (Hrsg.): Swiss Music Guide 2008. Delight Factory, Lausanne 2008.

Wyder, Judith: Online Music Promotion. Web 2.0 – das neue «Viagra» für die Musikkarriere? In: Ambühl, Didier (Hrsg.): Swiss Music Guide 2007, Mediacom Diffusion, Lausanne 2007.

Stanisic, Sava: Musikförderung in der Schweiz. Dank Synergie zur Sinfonie – Zukunftsmusik für eine Nation?. Zürcher Hochschule Winterthur, Kompetenzzentrum für Kulturmanagement, Winterthur 2005. http://www.swiss-music-news.ch/news/news790_Studie_Musikfoerderung.pdf

Verein Petzi (Hrsg.): Petzi Club Guide. Petzi, Lausanne 2010.

 

Einzeldarstellungen:
Clubs, Bands, Epochen, Szenen

Ain, Martin Eric; Fischer, Thomas Gabriel: Only Death Is Real. An Illustrated History of Hellhammer and Early Celtic Frost 1981–1985. Bazillion Points Books, New York City 2010.

Amstutz, Jörg (Hrsg.): Toiletcore, Rosettenpunk und Gentlemenrock. Ein Blick in die Untergrundmusikszene der Region Thun von 1990 bis 2005. Subversiv Records, Bern 2006.

Association Bikini Test / Steudler, Vincent: 20 Bikini Test ans – Le livre. Saint-Aubin, 2012.

Blum, Pascal: Spucken, Keifen, Johlen. In: Ambühl, Didier (Hrsg.): Swiss Music Guide 2009. Delight Factory, Lausanne 2009.

Boschung, Patrick / Fontana, Daniel / Mauron, Stefanie / Mollard, Adeline / Reidy, Katharina (Hrsg.): Bad Bonn Song Book. Edition Patrick Frey, Zürich 2016.

Büttler, David / Treier, Marcel: Vo de stross is härz. Schweizer Rap – Pädagogisches Werkbuch mit Audio-CD. Rex Verlag, Luzern 2008.

Dachkantine / Häberli, Michel / Maurer, Thomas O. (Hrsg.): Dachkantine. Zwei Jahre Tanz über den Dächern von Zürich. Edition Forma, Zürich 2006.

Fischer, Thomas Gabriel: Are You Morbid? Into the Pandemonium of Celtic Frost. Sanctuary Publishing, London 2000.

Grand, Lurker / Tschan, André (Hrsg.): The Swiss Underground Music Scene of the 80’s. Edition Patrick Frey, Zürich 2012.

Grand, Lurker (Hrsg.): Hot Love – Swiss Punk & Wave 1976–1980. Edition Patrick Frey, Zürich, 2007.

Grand, Lurker (Hrsg.): Die Not hat ein Ende. The Swiss Art of Rock. Edition Patrick Frey, Zürich 2015.

Grand, Simon / Page, Roman / Weckerle, Christoph: Von der Kreativwirtschaft zu den Creative Economies – Kreativwirtschaftsbericht Schweiz 2016. Zürich 2016.

Diem, Martin / Heilinger, Higi: Muesch nid pressiere: Ein Werkbuch zum Berner Mundartrock. Bern, Zytglogge 1992.

Hirscheneck Kollektiv (Hrsg.): 30 Jahre Hirscheneck. Reinhardt Verlag, Basel 2009.

Horat, Heinz: Ausser Rand und Band. Die Luzerner Szene 1950–1980. Velvet-Edition, Luzern 2006.

Joliat, Olivier; Willi, Matthias: The Moment After The Show. Rough Publications, Basel, 2012.

Kleenex / Liliput: Das Tagebuch der Gitarristin Marlene Marder. Edition Patrick Frey, Zürich 1986.

Krebs, Marc: Pop Basel. Musik und Subkultur. Christoph Merian Verlag, Basel, 2009.

Krebs, Marc / Hüberli, Tabea: Lovebugs – Coffee & Cigarettes. Christoph Merian Verlag, Basel 2012.

Kunsthaus Langenthal (Hrsg): Die Welttraumforscher. Lieder, Zeichen, Forschungen – The World Dream Researchers. Songs, Signs, Explorations. Langenthal 2013.

Meier, Dieter: Out of Chaos – Ein autobiografisches Lesebuch. Edel Verlag, Hamburg 2011.

Meichtry, Wilfried / Meyer, Pascale: Mani Matter. Eine Biographie. Zytglogge, Bern 2011.

Mumenthaler, Samuel: 50 Jahre Berner Rock. Zytglogge, Bern 2009.

Mumenthaler, Samuel: BeatPopProtest – Der Sound der Schweizer Sixties. Editions Plus, Lausanne 2001.

Mumenthaler, Samuel: Polo – eine Oral History. Picabia, Zürich 2005.

Prélaz, Daniel (Hrsg): Fri-Son 1983–2013. JRP|Ringier, Zürich 2013.

von Rohr, Chris: Hunde wollt ihr ewig rocken – Mein Trip durch den Rockdschungel. Steinblatt, Lugano 1991.

Rossellat, Daniel / Chantre, Pierre-Louis (Hrsg.): Paleo – Au Coeur De La Légende 1976–2005. Editions Favre SA, Lausanne 2005.

Ryser, Daniel: Yello. Boris Blank und Dieter Meier. Echtzeit Verlag, Basel und Zürich 2011.

Stapferhaus Lenzburg (Hrsg.): A walk on the wild side. Jugendszenen in der Schweiz von den 30er Jahren bis heute. Chronos Verlag, Zürich 1997.

Velvet / ILM Sedel (Hrsg.): Sedel 1981–2001. Velvet-Edition, Luzern 2002.

 

Internet (Stand Juli 2016)

Back Around the Clock. 50 Jahre Rock in der Schweiz (DVD). http://www.rockumentation.ch/home.php

Cut: Das Magazin für Wohlklang. https://issuu.com/cstettler

Die kleine Rampensau – Wissenswertes für Deine Band. http://www.kulturbuero.ch/sg/

SMPA-Index. Swiss Music Promoters Association. http://www.smpa.ch/?id=67

Marty, Bruno / Hänecke, Frank / Heilinger, Higi (2003): Pop/Rock – mehr als nur Musik. Blick auf eine Schlüsselbranche der Zukunft. http://www.swiss-music-news.ch/publikationen/CH_PopRock_Bericht_031.pdf

Rockproof 2.011 – Alles für deine Band. RFV, 2011. http://www.rfv.ch/bands-and-business/rockproof-2011

Umsatzzahlen der IFPI Mitglieder 1980 bis 2015. IFPI Schweiz. http://www.ifpi.ch/statistik-hitparade/jahreszahlen-schweiz/

Biografien

Christoph Fellmann, geboren 1970, ist Popredaktor beim «Tages-Anzeiger» in Zürich. Daneben lebt und arbeitet er als freier Autor in Luzern.

Hedy Graber, geboren 1961, ist seit 2004 Leiterin der Direktion Kultur und Soziales beim Migros-Genossenschafts-Bund, Zürich. Sie verantwortet die nationale Ausrichtung der kulturellen und sozialen Projekte des Migros-Kulturprozent sowie den Aufbau und die Entwicklung des 2012 ins Leben gerufenen Förderfonds Engagement Migros.

Carole Gröflin, geboren 1989, ist Journalistin in Basel. Sie schreibt unter anderem für den Muttenzer Anzeiger, Beobachter und Transhelvetica.

Ane Hebeisen ist Musikredaktor der Berner Tageszeitung «Der Bund». Er schreibt seit 1996 über Musik.

Martina Kammermann, geboren 1984, ist freie Journalistin und lebt in Bern.

Hanspeter «Düsi» Künzler arbeitet seit vielen Jahren als freischaffender Journalist in London unter anderen für Neue Zürcher Zeitung, Nordwestschweiz, Radio SRF, Loop, Surprise, Schweizer Musikzeitung und Musik Express. Er ist Autor von Büchern über Michael Jackson und die Rolling Stones und arbeitet derzeit an der Geschichte des englischen Indieplattenlabels Cooking Vinyl.

Dominik Landwehr, geboren 1958, leitet in der Direktion Kultur und Soziales des Migros-Genossenschafts-Bundes den Bereich Pop und Neue Medien und ist Herausgeber der Reihe Edition Digital Culture.

Lena Rittmeyer, geboren 1985, ist Kulturredaktorin bei der Berner Tageszeitung «Der Bund».

Christophe Schenk, geboren 1980, ist Journalist und Autor. Er lebt in Lausanne.

Philipp Schnyder von Wartensee, geboren 1966, leitet in der Direktion Kultur und Soziales beim Migros-Genossenschafts-Bundes das von  ihm mitkonzipierte Popmusikfestival m4music und das Programm zur Förderung von Indielabels.

Adrian Schräder, geboren 1978, ist freier Journalist und arbeitet hauptsächlich für den «Tages-Anzeiger». Sein Kerngebiet ist die Popmusik speziell die Entwicklung des Rap.

Renzo Wellinger, geboren 1978, verliess die Bündner Berge in Richtung Deutschland, um seinen Horizont zu erweitern. Der studierte Amerikanist mit Schwerpunkt Pop, TV/Film und Queer Culture ist heute als Redaktor, freier Autor und Blogger tätig. Er lebt und arbeitet in München, ist aber auch regelmässig in Zürich anzutreffen.

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Lektorat
Benedikt Sartorius, Bern
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Gestaltung 
Huber / Sterzinger, Zürich
in Zusammenarbeit mit Ivan Becerro

Schriften
Gazette LT Std
OL Franklin Triple Condensed

© 2016 by Limmat Verlag, Zürich, und Migros-Kulturprozent
www.migros-kulturprozent.ch

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ISBN 978-3-85791-817-9
ISBN epub 978-3-03855-062-4
ISBN mobi 978-3-03855-063-1